Öffentlichkeitsarbeit


Aktuelle Begutachtung bei Lyme-Borreliose durch Gutachter der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN)


Am Beispiel eines neurologischen Gutachtens aus 05/18 wird das strukturelle Vorgehen eines DGN-Gutachters dargestellt. Das Gutachten wurde von einem zertifizierten Gutachter der DGN erstellt.

 

Das als Beispiel herangezogene Gutachten enthält zahlreiche unzutreffende Behauptungen, die im Gutachten durch Literatur nicht belegt werden. Im Folgenden soll das Augenmerk auf den Bezug zwischen den falschen gutachterlichen Feststellungen und der im Gutachten erwähnten Literatur gelenkt werden.

 

Im Abschnitt „Beurteilung“ des Gutachtens wird zunächst mitgeteilt, auf welcher Basis die Beurteilung erfolgte. Zu Beginn des Abschnittes „Beurteilung“ heißt es:

 

„Das Gutachten basiert (1) auf der wissenschaftlichen Literatur zum Thema Borreliose in peer-reviewed Journalen, (2) auf mehr als 30 Jahren eigener klinischer Erfahrung mit Borreliose-Patienten und Patienten mit anderen neuroinfektiologischen Krankheitsbildern und (3) den Empfehlungen / Leitlinien folgender wissenschaftlicher Fachgesellschaften: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), Deutsche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM), Schweizerische Gesellschaft für Infektiologie (SSI), European Society of Clinical Microbiology and Infectious Diseases (ESCMID), American Academy of Neurology (AAN), European Federation of Neurological Societies (EFNS), European Union Concerted Action on Lyme Borreliosis (EUCALB), Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie und Deutsche Dermatologische Gesellschaft“.

 

Im Literaturverzeichnis des Gutachtens sind zudem mehrere Lehrbücher erwähnt.

 

Im Gutachten selbst, insbesondere auch im Abschnitt „Beurteilung“ werden im Text keine Literaturquellen benannt, d.h. die im Text enthaltenen unzutreffenden Behauptungen werden nicht mit Literaturhinweisen im Text versehen.

 

Die Behauptung, dass das Gutachten auf wissenschaftlicher Literatur zum Thema Borreliose in peer-reviewed Journalen beruht, bezieht sich offensichtlich auf die Tatsache, dass sich der Gutachter auf die Leitlinien verschiedener Fachgesellschaften bezieht, die sich ihrerseits (angeblich) auf peer-reviewed Journale beziehen. Publikationen über wissenschaftliche Studien werden im gesamten Gutachten nicht erwähnt.

 

Die vom Gutachter zitierten Leitlinien verschiedener Fachgesellschaften enthalten ihrerseits Fehleinschätzungen und sind nicht selten auf einige wenige Aspekte begrenzt. Zum Teil enthalten die Leitlinien lediglich Denkanstöße und Vorschläge bezüglich bestimmter Aspekte in Leitlinien.

 

Bezüglich weiterer Einzelheiten sei auf die Anlage 1 verwiesen.

 

Bezuggenommen wird auch auf die aktualisierte Leitlinie der DGN aus 2018. Dabei wird jedoch der Leitlinienreport als elementarer Teil der Leitlinien übergangen. Folge ist, dass die im Leitlinienreport dargestellten Sondervoten und Dissenshinweise im Gutachten unberücksichtigt bleiben und dies, obwohl im Leitlinientext in der Präambel ausdrücklich auf diesen begründeten Dissens der Deutschen Borreliose Gesellschaft verwiesen wird.

 

Am Ende des Gutachtens ist folgendes Literaturverzeichnis aufgeführt:

  • Brouqui et al.: ESCMID study group report. Guidelines for the diagnosis of tick-borne bacterial diseases in Europe. Clin Microbiol Infect 2004; 10: 1108-1132
  • Evison J et al. Abklärung und Therapie der Lyme Borreliose bei Erwachsenen und Kindern. Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Infektiologie. Teil 1 Epidemiologie und Diagnostik. Schweizerische Ärztezeitung 2005; 86: Nr. 41, 2332-2338
  • Fingerle V et al. MlQ 12, 2.Auflage, Lyme-Borreliose. Qualitätsstandards in der mikrobiologisch-infektiologischen Diagnostik. Elsevier. Urban & Fischer, München, 2017. 
  • Gaubitz M, Dressler F, Huppertz Hl, Krause A; Kommission Pharmakotherapie der DGRh. [Diagnosis and treatment of Lyme arthritis. Recommendations of the Pharmacotherapy Commission of the Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie (German Society for Rheumatologie for Rheumatology)]. Z Rheumatol 2014 Jun;73(5):469-74
  • Hacke W. (Hrsg.) Lehrbuch „Neurologie“, Springer-Verlag, 14. Auflage, 2016
  • Halperin JJ, Shapiro ED, Logigian E, Belman AL, Dotevail L, Wormser GP, Krupp L, Gronseth G, Bever CT Jr; Quality Standards Subcommittee of the American Academy of Neurology. Neurology. 2007;69(1):91-102. Erratum in: Neurology, 2008 Apr1;70(14)1223
  • Hofmann H et al. Deutsche Dermatologische Gesellschaft: Kutane Lyme Borreliose. Leitlinie der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft 2016 (AWMF online) 
  • Koedel U, Fingerle V, Pfister HW. Lyme neuroborreliosis-epidemiology, diagnosis and rnanagement. Nat Rev Neurol. 2015, 11:446-56 
  • Kunze K.: Lehrbuch „Praxis der Neurologie", Thieme Verlag 1999, 
  • Mattle H und Mumenthaler M: Lehrbuch ,,Neurologie, 13. Auflage Thieme Verlag 2013 
  • Mygland A, Ljostad U, Fingerle V. et al.: EFNS guidelines on the diagnosis and rnanagement of European Lyme neuroborreliosis. European Journal of Neurology 17 (2010) 8-16 
  • Pfister HW, Fingerle V. Andere Spirochäteninfektionen. In: Diener HC, Gerloff C, Dieterich M (Hrsg.) Therapie und Verlauf neurologischer Erkrankungen. Kohlhammer Stuttgart 2018; S. 600-611
  • Rauer S (federführend) und Mitarbeiter: Neuroborreliose. In: Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. 5. Überarbeitete Auflage. Thieme Stuttgart, 2012, S. 513-522 
  • Rauer S (federführend) und Mitarbeiter. S3-Leitlinie der AWMF 2018, www.dgn.org
  • Stanek G, Fingerle V, Hunfeld KP et al. Lyme borreliosis: clinical case definitions for diagnosis and management in Europe (European Union Concerted Action on LB). Clin Microbiol Infect 2011; 17:69-79 

Im Literaturverzeichnis wird im Zusammenhang mit der aktualisierten und in 2018 publizierten Leitlinie Neuroborreliose der DGN von einer S3-Leitlinie gesprochen. In der Leitlinie selbst wird dieser Begriff („S3-Leitlinie“) jedoch nicht benutzt. Vielmehr wird von einer „Entwicklungsstufe 3“ gesprochen. Dieser Begriff ist nicht literaturüblich und ist insbesondere im Regelwerk der zuständigen AWMF (Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlich medizinischer Fachgesellschaften) nicht enthalten. Entscheidend ist jedoch die Tatsache, dass es sich nicht um eine S3-Leitlinie handelt, da sich die Leitlinie in wesentlichen Punkten, insbesondere auch im Hinblick auf das Spätstadium der Lyme-Borreliose nicht auf evidenzbasierte Literatur beziehen kann. In der Leitlinie selbst wird auf die unzureichende Literatur ausdrücklich hingewiesen. Bei der aktualisierten Leitlinie der DGN handelt es sich also nicht um eine S3-Leitlinie, sondern vielmehr um eine S2k-Leitlinie, die sich ausschließlich auf einen strukturierten Konsens nach AWMF-Regelwerk stützt und nicht etwa auf evidenzbasierte Studien. 

 

Das in Rede stehende Gutachten bezieht sich auf eine beim Kläger vorliegende Lyme-Borreliose im Spätstadium und nimmt Bezug auf eine (angebliche) S3-Leitlinie der DGN. Durch dieses Vorgehen des Gutachters der DGN wird das Gericht zum Nachteil des Klägers getäuscht.

 

Es bedarf daher dringend einer Korrektur, wonach es sich bei der aktuellen Leitlinie Neuroborreliose der DGN nicht um eine S3-Leitlinie, sondern um eine S2k-Leitlinie handelt, also eine Leitlinie die nicht oder unzureichend durch wissenschaftliche Literatur fundiert ist.

 

Bezüglich konkreter Einzelheiten des zugrunde gelegten Gutachtens sei auf die gutachterliche Stellungnahme vom 08.06.18 (Anlage 3) verwiesen.

 

 

Anlage 1: Buchtext 21.15 

Anlage 2: Buchtext 21.16

Anlage 3: Anonymisierte Stellungnahme