Öffentlichkeitsarbeit


Leitlinie Neuroborreliose der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN)

Kritische Stellungnahme von W. Berghoff


04/18 wurde die aktuelle LL Neuroborreliose der DGN publiziert. Die Leitlinie enthält folgende Fehler und Defizite:

 

Fehlender Hinweis, dass der Begriff „Neuroborreliose“ die Summe neurologischer Manifestationen der Lyme-Borreliose benennt. Eine Neuroborreliose tritt nur bei 8-15% der Patienten mit Lyme-Borreliose auf. Die ganz überwiegende Zahl der Patienten, ca. 85% leiden an einer Lyme-Borreliose, jedoch nicht an einer Lyme-Neuroborreliose. Die Neuroborreliose ist keine eigenständige Krankheit. Das Fehlen einer Neuroborreliose schließt eine generalisierte Lyme-Borreliose nicht aus. Der Liquor zeigt nur bei 5% der Patienten im Spätstadium Veränderungen und dies nur in geringem Ausmaß.

 

Die Häufigkeit von Manifestationen der Lyme-Borreliose wird falsch eingeschätzt. Die einzige Bezugnahme auf die Publikation von Hupperzt et al, 1999 ist unkorrekt, da es sich um ein präselektiertes Kollektiv handelt. Die Arbeit betrifft zudem die Inzidenz und nicht die Prävalenz der Lyme-Borreliose.

 

Häufigkeit von Manifestationen:

Erythema migrans 50%

Acrodermatitis chronica atrophicans 10%

chronisches Krankheitsgefühl 80%

Fatigue 80%

Gelenkschmerzen 70%

Muskelbeschwerden 93%

Kopfschmerzen 60%

kognitive Störungen 50%

Schlafstörungen 70%

Parästhesien 50%

Arthritis 30%

Halsschmerzen 25%

Augenerkrankungen 10%

 

Literatur zur Häufigkeit der Lyme-Neuroborreliose im Spätstadium liegt nicht vor.

 

Literatur über die Häufigkeit der Polyneuropathie ohne ACA im Spätstadium in Europa liegt nicht vor.

 

Literatur zur Häufigkeit von Pleozytose und intrathekalen Antikörpern bei LNB im Spätstadium liegt nicht vor.

 

Die Behauptung, dass eine LNB im Spätstadium bei normalem Liquor auszuschließen ist, lässt sich durch Literatur nicht belegen.

 

Literatur über die Häufigkeit eines pathologischen Liquors bei Polyneuropathie, Neuroradikulitis und cranieller Neuropathie liegt nicht vor.

 

Seronegativität liegt bei 30% der Patienten mit Lyme-Borreliose im Spätstadium vor. Die Verneinung der Seronegativität durch die DGN ist literarisch nicht begründet. Die DGN bezieht sich auf zwei methodologische Studien mit jeweils kleinen Patientenzahlen. Die Zielsetzung der Studien war nicht die Feststellung der Häufigkeit einer Seronegativität, vielmehr dienten diese beiden kleinen Studien zur Verbesserung serologischer Untersuchungsmethoden bei LB.

 

Die diagnostischen Kriterien der Neuroborreliose (entsprechend LL DGN) gelten für die akute Lyme-Neuroborreliose; für das Spätstadium liegen keine ausreichenden Daten vor. 

Eine Pleozytose tritt nur im Zusammenhang mit einer Meningitis auf. Bei der akuten Lyme-Neuroborreliose (Frühstadium) ist eine Pleozytose stets nachweisbar. Im Spätstadium (Encephalitis, Myelitis, Radikulitis, cranielle Neuropathie, Plexopathie, Neuritis, Neuritis multiplex) liegt keine ausreichende Literatur vor.

 

Der Lymphozytentransformationstest (LTT, von Baehr et al, 2012) ist von hoher diagnostischer Wertigkeit bei der Lyme-Borreliose, insbesondere auch bei Fällen mit typischer klinischer Symptomatik und Seronegativität. Die diagnostische Wertigkeit des LTT wurde in zahlreichen Publikationen positiv bewertet mit nur einer Ausnahme (Zoschke et al, 1991).

 

Das Post Treatment Lyme Disease Syndrome (PTLDS) stellt eine Hypothese dar. Es handelt sich um Symptome, die bei nachgewiesener Lyme-Borreliose auftraten und nach antibiotischer Behandlung nicht verschwanden. In diesem Zusammenhang wird angenommen, dass laut Leitlinien nationaler und internationaler Fachgesellschaften eine einmalige antibiotische Behandlung (Monotherapie für einige Wochen) die Heilung einer Lyme-Borreliose garantiert. Ein Zusammenhang der PTLDS mit einer LB wird auf medizinischem Gebiet (Leitlinien) und forensischem Gebiet verneint. Das PTLDS gilt nach Auffassung der DGN als eigenständige Krankheit. Dass es sich um eine Hypothese handelt, wird in den LL der DGN nicht erwähnt. – Eine Unterscheidung zwischen einer Lyme-Borreliose im Spätstadium und einem so genannten PTLDS ist nicht möglich. Die Lyme-Borreliose im Spätstadium ist als Krankheitszustand in der wissenschaftlichen Literatur eindeutig definiert, es handelt sich also um eine Tatsache. Das PTLDS ist dagegen eine Hypothese. Eine Unterscheidung zwischen einer Tatsache und einer Hypothese ist mit den Gesetzen der Logik nicht vereinbar.

 

Die chronische Lyme-Borreliose und die chronische Lyme-Neuroborreliose sind begrifflich identisch mit der LB bzw. LNB im Spätstadium. Die LB im Spätstadium bei persistierender Infektion nach antibiotischer Behandlung ist in der Literatur vielfach beschrieben und häufig belegt durch Erregernachweis. Der Krankheitszustand der LB und LNB im Spätstadium beruht auf einer persistierenden Infektion.

 

Die Encephalopathie kommt bei LB und LNB im Spätstadium bei mindestens 60% der Fälle vor. Sie führt zu erheblichen kognitiven und affektiven Störungen.

 

In der LL der DGN wird zutreffend festgestellt, dass keine evidenzbasierten Studien zur Effizienz der antibiotischen Behandlung der Lyme-Neuroborreliose im Spätstadium vorliegen. Die in der LL DGN enthaltenen Behandlungsempfehlungen im Spätstadium haben also keine wissenschaftliche Basis.

 

Bezüglich sonstiger Einzelheiten und insbesondere der Literatur sei auf das Lehrbuch W. Berghoff, Lyme-Borreliose, 2016 verwiesen.

 

Die oben aufgeführten Einwände gegen die LL Neuroborreliose der DGN wurden in Form eines Dissensberichtes in den Leitlinienreport aufgenommen, jedoch nicht in den eigentlichen Leitlinientext. Allerdings wird in der Präambel der Leitlinie Neuroborreliose der DGN auf den Dissens der DBG und von Patientenorganisationen hingewiesen.

 

Dem Antrag der DBG auf Einbringung des Dissenses in den Leitlinientext wurde von Seiten der DGN nicht entsprochen und zwar ohne Angabe von Gründen. Von einer endgültigen rechtlichen Klärung hat die DBG Abstand genommen.