Die Leitlinie Neuroborreliose der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (LL Neuroborreliose DGN) wurde in den letzten Jahren aktualisiert. In der Konsensusgruppe ist die Deutsche Borreliose Gesellschaft (DBG) stimmberechtigtes Mitglied. Trotz intensiver Mitwirkung konnte die DBG nicht verhindern, dass die aktuell finalisierte Version des LL-Textes zahlreiche Fehler und Falschbehauptungen enthält. Da die DGN nicht bereit war, die Fehler zu korrigieren, beantragte die DBG, wie üblich, die Einbringung von Sondervoten und Dissenshinweisen in die Leitlinie. Auch diesem Begehren der DBG hat die DGN nicht entsprochen und zwar ohne Angabe von Gründen.
Die mit Datum 31.07.17 von der DBG an die DGN übersandte Stellungnahme wird im Folgenden wiedergegeben.
Der vorliegende Text entspricht dem Original des Schreibens von W. Berghoff (Vertreter der DBG) an Prof. Rauer, Leiter der Steuerungsgruppe.
Sehr geehrter Herr Rauer,
im Folgenden nehme ich zu Ihren Kommentaren in Bezug auf meine Ausführungen (gemeint ist meine E-Mail mit Anhang vom 30.03.17) Stellung. Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass meine
Kommentierung vom 30.03.17 stammt, Ihr Kommentar jedoch erst am 22.06.17 übersandt wurde.
Ihrer E-Mail an Frau Fischer vom 18.07.17 entnehme ich, dass Sie Sondervoten (sinngemäß) wegen Terminvereinbarungen nicht mehr akzeptieren, da angeblich eine „Einreichung der Sondervoten bis zum
06.04.17 vereinbart worden sei“. Für die Deutsche Borreliose Gesellschaft stelle ich fest, dass eine solche Vereinbarung nicht getroffen wurde. Eine Vereinbarung muss einhellig, einträchtig und
freiwillig geschlossen werden. Aus Sicht der DBG sind diese Voraussetzungen nicht gegeben. Ich bitte sie daher um Mitteilung, auf welcher Rechtsbasis Sie eine rechtsverbindliche Vereinbarung
möglicherweise mit Vertragscharakter stützen.
Sie fordern, dass Sondervoten sich auf Zeitschriften mit einem Peer-Review-Verfahren stützen. Die von mir eingereichte Literatur ist generell in solchen Zeitschriften publiziert worden. Falls Sie
wider Erwarten Ausnahmen feststellen können, bitte ich um kurze Mitteilung.
Bei dem Text (E-Mail der DBG vom 30.03.17) „S3-LL-Neuroborreliose, Sondervoten und Dissenshinweise der Deutschen Borreliose Gesellschaft“ handelt es sich erkennbar nicht um abschließend
formulierte Sondervoten und Dissenshinweise. Vielmehr geht aus Umfang und Art des Textes hervor, dass die Inhalte der vorgesehenen (!) Sondervoten der DBG der Steuerungsgruppe zur Kenntnis
gebracht werden sollten und zwar ausschließlich zur Überprüfung der Akzeptanz von Seiten der Steuergruppe.
Nachfolgend werden die Sondervoten in gebotener Kürze „kurz und prägnant“ dargestellt. Falls sich größere Schwierigkeiten ergeben sollten, ist die DBG selbstverständlich bereit, eventuell ein
erneutes Kleingruppengespräch zu führen. In einem solchen Fall würde die DBG jedoch auf einer subtilen und von allen Seiten anerkannten Protokollierung bestehen.
In meiner E-Mail vom 30.03.17 hatte ich vorsorglich die Literatur erneut beigefügt, um den Arbeitsprozess zu vereinfachen. Der DBG ist selbstverständlich bewusst, dass Sondervoten nicht mit
Literatur im LL-Text eingebracht werden. Jedoch beantragt die DBG, dass die gesamte Literatur im Begleittext aufgeführt wird und dass auf diese Literatur im LL-Text im Zusammenhang mit den
Sondervoten und Dissenshinweisen hingewiesen wird.
Die Behauptung der Steuergruppe, dass die erneute Überprüfung der Literatur zu dem Ergebnis führte, dass die Feststellungen der DBG wissenschaftlich nicht nachvollziehbar seien, ist willkürlich,
bleibt unbegründet und wird nicht einmal beispielsweise erläutert. Falls Sie bestimmte Literaturstellen im Hinblick auf die Kommentierung durch die DBG für ungeeignet halten, sollten Sie die
Publikationen einzeln benennen. Die DBG behält sich vor, ggfs. erneut Stellung zu nehmen, falls Sie die Ansichten der Steuergruppe als relevant betrachtet.
Ihre Mitteilung, dass Sie zu einer Fortführung der Diskussion zwischen Steuergruppe und DBG nicht bereit sind, ist ebenfalls unbegründet und rechtlich problematisch. Die DBG ist Mitglied der
Konsensusgruppe und besteht auf uneingeschränktem Recht
auf Mitwirkung, d.h. die DBG möchte in freier und eigener Entscheidung über ihre eingebrachten Sondervoten und Dissenshinweise entscheiden. Eine Beeinflussung oder Verhinderung der Mitwirkung der
DBG wird zurückgewiesen. Falls Sie in diesem Zusammenhang ein anderes Vorgehen für gerechtfertigt halten, bitte ich um Mitteilung der rechtlichen Grundlage.
Die DBG weist eine Unterbringung ihrer Sondervoten und Dissenshinweise (ausschließlich) im Leitlinienreport zurück. Aufgrund der hohen Expertise trägt die DBG wesentlich zur Qualität der
Leitlinien bei. Hieraus folgert, dass die wichtigen Sondervoten und Dissenshinweise im Leitlinientext in Inhalt, Form und Darstellung in gleicher Weise wie „Empfehlungen“ zur Darstellung kommen
sollen.
Die von Ihnen in Aussicht gestellte Zusendung der „Finalisierten Version der Leitlinien“ wird ebenfalls von Seiten der DBG zurückgewiesen. Der aktuelle Leitlinientext enthält zahlreiche
gravierende Fehlinformationen, die dringend einer Richtigstellung durch Sondervoten und Dissenshinweise bedürften. Solange dieser Prozess nicht abgeschlossen ist, ist die Steuergruppe nicht
berechtigt, eine finalisierte Version zu publizieren.
Zu den einzelnen Positionen zu der Stellungnahme der Steuergruppe hinsichtlich der E-Mail der DBG vom 30.03.17 wird im Folgenden detailliert Stellung genommen. Dabei werden die Ziffern aus dem
Anhang Ihrer E-Mail vom 22.06.17 zu Grunde gelegt.
Stellungnahme der Steuergruppe vom 22.06.17 zur orientierenden inhaltlichen Darstellung vorgesehener Sondervoten und Dissenshinweisen der DBG vom 30.03.17
1.1.1
Die DBG besteht auf der Einbeziehung des Textes: „Der Begriff „Neuroborreliose“ bezeichnet die Summe neurologischer Manifestationen der Lyme-Borreliose“.
Ein solcher Hinweis ist von besonderer Bedeutung, da der jetzige LL-Text in zahlreichen Passagen und Kapiteln von eigentlichen neurologischen Problemen abweicht. Falls dieser Satz nicht in den
Text aufgenommen werden kann, beantragt die DBG folgendes Sondervotum:
Sondervotum
Der Begriff „Neuroborreliose“ bezeichnet die Summe neurologischer Manifestationen der Lyme-Borreliose. Es handelt sich also nicht um eine eigenständige Krankheit.
1.1.3
Entscheidend ist der Hinweis, dass neurologische Manifestationen nur in 10 - 15 % der Fälle bei Lyme-Borreliose auftreten, dass also der ganz überwiegende Teil der LB-Patienten keine
neurologischen Symptome aufweist. Falls diese Passage im Text nicht aufgenommen wird, beantragt die DBG folgendes Sondervotum:
Sondervotum
Neurologische Symptome treten bei der Lyme-Borreliose nur in 15 % der Fälle auf. Etwa 85 % der LB-Patienten sind neurologisch unauffällig.
Die DBG bleibt bei ihrer Ansicht, dass es sich bei der Publikation von Huppertz et al, 1999 um ein präselektiertes Kollektiv handelte. Die Studie war ausschließlich auf die Feststellung der
Inzidenz ausgerichtet. Über die Häufigkeit von Manifestationen kann die Studie keine Aussage machen. Dies ergibt sich schon aus der Tatsache, dass die Neuroborreliose nur mit 3 %, die Arthritis
mit 5 % und das Fehlen eines Erythema migrans mit 0 % angegeben wird. Falls diese Passage im LL-Text nicht entsprechend korrigiert wird, beantragt die DBG folgendes Sondervotum:
Sondervotum
Die Publikation von Huppertz et al, 1999 betraf ein präselektiertes Kollektiv und war lediglich auf die Inzidenz und nicht auf die Häufigkeit einzelner Krankheitsmanifestationen ausgerichtet.
Insbesondere zur Häufigkeit des EM lässt die Studie von Huppertz et al, 1999 keine Aussage zu. Die Angabe über die Häufigkeit des EM als einziges Symptom von nahezu 90 % liegt im Widerspruch zu
der übrigen Literatur. Bei summarischer Betrachtung der Literatur wäre die Häufigkeit des EM mit etwa 70 % anzugeben. Falls keine Textkorrektur erfolgt, beantragt die DBG folgendes Sondervotum:
Sondervotum
Ein EM tritt bei der Lyme-Borreliose in höchstens 70 % der Fälle auf, d.h. bei 30 % der LB-Patienten fehlt das EM.
2.2
Unbestritten ist, dass die Polyneuropathie bei der LB multifokal und mehr oder weniger asymmetrisch ist. Dieses Faktum hat jedoch nichts mit der vorliegenden Problematik zu tun. Entscheidend ist,
dass für den europäischen Raum keine Daten über die Häufigkeit der Polyneuropathie ohne ACA vorliegen. Falls dies nicht im Text zum Ausdruck gebracht wird, beantragt die DBG ein Sondervotum:
Sondervotum
Studien zur Häufigkeit der Polyneuropathie ohne ACA in Europa liegen nicht vor.
3.3
Die Arbeit von Reiber et al, 2013 bezüglich intrathekaler Antikörper bei akuter Lyme-Neuroborreliose ist für die DBG überzeugend. Bei Nichtbeachtung wird ein Sondervotum beantragt:
Sondervotum
Bei der akuten Lyme-Neuroborreliose haben intrathekale IgM AK höhere diagnostische Bedeutung als IgG AK. Die Sensivität beträgt 100 % versus 57 %.
Dissenshinweis (Seite 15, hinter Tabelle 2)
Die DBG hält die zitierten 40 Literaturstellen zur Seronegativität bei der Lyme-Borreliose im Spätstadium für wissenschaftlich überzeugend. Die DBG entscheidet in Eigenständigkeit über die
Qualität wissenschaftlicher Literatur. Falls die Steuergruppe Einwände hat, sollten die Publikationen im Einzelnen benannt werden unter Begründung qualitativer Vorbehalte.
Die im Zusammenhang im LL-Text angeführte Literatur betrifft nicht die Häufigkeit von Antikörpern im Spätstadium, sondern ausschließlich Studien zur Verbesserung der Untersuchungsmethode.
Herr Fingerle nahm zu zahlreichen Literaturstellen bezüglich Seronegativität bei der Lyme-Borreliose im Spätstadium in einem kurzen Dia-Vortrag kritisch Stellung. Nach seinem Vortrag stellte Herr
Fingerle der DBG die Inhalte des Dia-Vortrages zur Verfügung. Zu sämtlichen Punkten des Vortrages von Herrn Fingerle wurde mit EMail 30.01.17 detailliert Stellung genommen und sämtliche Einwände
von Dr. Fingerle widerlegt.
Nunmehr verweist die Steuerungsgruppe in ihrer E-Mail vom 22.06.17 darauf, dass von Herrn Fingerle und Herrn Dersch erneut 40 Papers bewertet wurden und dass aus keiner dieser Arbeiten
hervorgehe, dass Seronegativität bei der Lyme-Borreliose im Spätstadium vorkomme. Es wurde auf die Anlage verwiesen.
Zu dieser Anlage wird im Einzelnen kurz Stellung genommen:
Die Liste der Literatur zur Seronegativität (erstellt von R. Dersch) trägt zur Klärung des Sachverhaltes nicht bei, da sie keine quantitativen Daten enthält.
Besonders befremdlich ist die Tatsache, dass die Steuerungsgruppe bei der wichtigen Problematik Seronegativität bei der Lyme-Borreliose im Spätstadium die Publikation von Klemann und Huismans,
2009 nicht berücksichtigt. Beide Autoren sind Mitglieder der DBG und verfügen über eine hohe Expertise, insbesondere zur Problematik der Lyme-Borreliose im Spätstadium. Diese wichtige Publikation
über Patienten mit LB III, belegt durch Erregernachweis, zeigt Seronegativität für IgG AK bei 48 % der Fälle.
Zu beachten ist insbesondere auch die Publikation von Leeflang et al, 2016, eine Literaturrecherche, die auf die Möglichkeit der Seronegativität bei einem erheblichen Anteil der Fälle
hinweist.
Unverständlich ist auch die Behauptung der Steuerungsgruppe, dass „aus infektionspathophysiologischer Sicht bei immunkompetenten Patienten Seronegativität unplausibel“ sei und dass diese
grundsätzliche Überlegung ein Sondervotum über den Nachweis von Seronegativität bei der Lyme-Borreliose im Spätstadium nicht zulässt. Es ist offensichtlich, dass die Steuerungsgruppe auf der
Basis der wissenschaftlichen Literatur nicht belegen kann, dass bei der Lyme-Borreliose im Spätstadium grundsätzlich IgG Antikörper vorhanden sind. Sie greift daher auf (vermeintlich zutreffende)
infektionspathophysiologische Prinzipien zurück, die Seronegativität bei der LB III unplausibel machen.
Erneut sei darauf hingewiesen, dass die Behauptung im Leitlinien-Text, dass bei LB III grundsätzlich Seropositivität vorliegt, durch wissenschaftliche Literatur nicht belegt ist. Bezug genommen
wird im LL-Text ausschließlich auf die Publikationen Hansen und Asbrink, 1989 und Wilske et al, 1993. Diese Publikationen befassen sich jedoch nicht mit der Häufigkeit der Seropositivität bei der
Lyme-Borreliose im Spätstadium, sondern sind methodologische Studien, d.h. Studien zur Verbesserung serologischer
Untersuchungsmethoden.
Die Betrachtung infektionspathophysiologischer Prinzipien ist wenig hilfreich, wenn die in der wissenschaftlichen Literatur dargestellten Daten zu entgegenstehenden Ergebnissen kommen. In diesem
Zusammenhang ist nicht zuletzt die diagnostische
Wertigkeit der Methode (serologische Untersuchung), d.h. ihre Sensivität zu beachten.
Falls keine Korrektur des Textes erfolgt, beantragt die DBG ein Sondervotum:
Sondervotum
Seronegativität, d.h. Fehlen von Antikörpern liegt bei 30 % der Patienten mit Lyme-Borreliose im Spätstadium vor. Die in der Tabelle angegebene Häufigkeit von 100 % ist wissenschaftlich nicht
belegt.
3.11
Die Steuergruppe behauptet, dass auch eine Encephalitis, eine Radikulitis und eine Myelitis für sich alleine, also ohne gleichzeitig bestehende Meningitis zur Pleozytose im Liquor führen können.
Verwiesen wird auf die Lehrbücher der Neurologie. Literatur wird nicht benannt. Lehrbücher können selbstverständlich keine wissenschaftliche Literatur, insbesondere keine Studien ersetzen. In
dem
international maßgebenden Lehrbuch „Adams und Victor’s Principle of Neurology“ heißt es (in Deutsch übersetzt): Die Lumbalpunktion ist unerlässlicher Teil einer Untersuchung von Patienten mit
Symptomen und Zeichen einer Meningitis oder eines jeglichen Patienten, bei dem eine Meningitis vermutet wird. Auch im Online-Nachschlagewerk „UpToDate“ wird die Pleozytose infektiöser Genese nur
in Verbindung mit Meningitis erwähnt. In dem bekannten renommierten Lehrbuch der Neurologie von B. Scheidt heißt es: „Eine Zellvermehrung weist auf eine entzündliche Reaktion der Meningen hin“.
Im vorliegenden Zusammenhang ist die Frage entscheidend, ob Entzündungen im Parenchym ohne gleichzeitig vorliegende Meningitis zu einer Pleozytose führt. Bei der Multiplen Sklerose als Prototyp
einer solchen Konstellation ist der Liquor in 2 Drittel aller Fälle unauffällig (Rudick RA, Whitaker JN in Neurology / Neurosurgery Update Series, Scheinberg B (Ed), CPEC, Princeton, NJ 1987. Vol
7, p. 1.). Sonstige Literatur zur Pleozytose bei MS siehe Anlage 1.
Für die Lyme-Borreliose liegt keine Literatur über die Häufigkeit der Pleozytose bei Encephalitis, Myelitis oder Neuroradikulitis vor. Es kann also nicht ausgeschlossen werden, dass bei der
Lyme-Neuroborreliose im zentralen Nervensystem und auch bei anderen Manifestationen (Plexopathie, Neuroradikulitis, cranielle Neuropathie, Neuritis, Neuritis multiplex) keine Pleozytose im Liquor
auftritt.
Bei der Fazialisparese war der Liquor nur in 25 % der Fälle pathologisch (Kohler et al, 1999). In der Studie von Belman et al, 1997 war der Liquor in 68 % der Fälle pathologisch, Albasetti et al,
1997 80 %, Pohl et al, 1987 bei cranieller Neuropathie 29 % normaler Liquor, bei akuter Entzündung des Hirnnerven VIII in etwa der Hälfte der Fälle.
Falls eine Änderung des LL-Textes nicht erfolgt, beantragt die DBG Sondervotum:
Sondervotum
Eine Pleozytose bei LNB tritt nur im Zusammenhang mit einer Meningitis auf. Bei der akuten Lyme-Neuroborreliose ist eine Pleozytose stets nachweisbar, bei anderen Formen der Lyme-Neuroborreliose,
insbesondere im Spätstadium (Encephalitis, Myelitis, Radikulitis, cranielle Neuropathie, Plexopathie, Neuritis, Neuritis multiplex) liegt in einem relevanten Anteil keine Pleozytose vor, d.h. die
Pleozytose ist bei diesen Manifestationen nicht obligat.
3.12
Der LTT Borrelien wird aktuell wegen angeblich zu geringer Spezifität in Frage gestellt. Zudem wird die entscheidende Publikation von von Baehr et al, 2012 wegen mangelnder Definition der
Lyme-Borreliose in der Verum-Gruppe kritisiert. Tatsächlich ist die Beschreibung der LB-Patienten in der Publikation von von Baehr et al, 2012 gleichrangig mit zahlreichen Untersuchungen zur
Serologie bei LB. Aus der Arbeit von von Baehr et al, 2012 und der Publikation Valentine-Thon et al, 2007 ergibt sich, dass Sensivität und Spezifität des LTT den Daten bei der Serologie
entsprechen. Falls keine Textänderung möglich ist, wird Sondervotum beantragt:
Sondervotum
Der Lymphozytentransformationstest (LTT, von Baehr et al, 2012) ist von hoher diagnostischer Wertigkeit bei der Lyme-Borreliose, insbesondere bei Fällen mit typischer klinischer Symptomatik und
Seronegativität.
Zur Problematik Pleozytose bei LNB wurde bereits unter Punkt 3.11 Stellung genommen. Entgegen der Annahme der Steuergruppe kommen Neuroradikulitis und cranielle Neuropathie auch bei der
Lyme-Borreliose im Spätstadium vor.
Laut Algorithmus für die späte Neuroborreliose sind Pleozytose und erhöhtes Protein im Liquor Voraussetzung für die Annahme einer Neuroborreliose im Spätstadium. Diese Annahme lässt sich für
sämtliche Manifestationen der Lyme-Neuroborreliose im Spätstadium durch Literatur nicht belegen. Vielmehr ist anzunehmen, dass in einem relevanten Anteil der Fälle der Liquor unauffällig ist.
Falls keine Änderung des Algorithmus oder des Textes erfolgt, beantragt die DBG ein Sondervotum:
Sondervotum
Ein normaler Liquor schließt in einem relevanten Anteil der Fälle eine Lyme-Neuroborreliose im Spätstadium nicht aus.
4.1
Das Post Lyme Syndrome (PLS) und das nachfolgend literarisch eingeführte Post Treatment Lyme Disease Syndrome (PTLDS) sind hypothetische Begriffe mit hypothetischer Prämisse. Bei Patienten, die
nachweislich an einer Lyme-Borreliose litten, führte eine so genannte adäquate antibiotische Therapie nach Standard nicht zur Beschwerdefreiheit. Vielmehr persistierte ein Teil der Symptome, die
vor der antibiotischen Behandlung bei der Lyme-Borreliose vorlagen. In diesem Zusammenhang wurde in der Literatur (implizit) angenommen, dass die antibiotische Behandlung nach Standard die
Beseitigung der Lyme-Borreliose garantiere. Der hohe therapeutische Erfolg bei antibiotischer Behandlung der Lyme-Borreliose wurde jedoch nur für das Erythema migrans, d.h. das Frühstadium der
Lyme-Borreliose wissenschaftlich belegt, für spätere Stadien liegt ein derartiger Beweis in Form von
evidenzbasierten Studien bis heute nicht vor. Insbesondere für die Lyme-Borreliose im Spätstadium existieren keine evidenzbasierten Daten zur Effizienz der antibiotischen Behandlung. Vielmehr ist
in der Literatur das Versagen einer antibiotischen Behandlung, insbesondere bei der Lyme-Borreliose im Spätstadium vielfach beschrieben und zwar auf der Basis des klinischen Bildes und des
Erregernachweises.
Da die Prämisse (antibiotische Behandlung nach Standard garantiert Beseitigung der LB) bereits eine Hypothese darstellt, ist auch die Schlussfolgerung, dass die persistierenden Beschwerden einer
LB nach antibiotischer Behandlung ein (eigenständiges) Syndrom darstellen, hypothetisch. Die im LL-Text enthaltene Formulierung „Das PTLDS ist von Beschwerden durch Persistenz vermehrungsfähiger
Erreger abzugrenzen“ ist unlogisch. Eine Unterscheidung zwischen einer Tatsache, nämlich einer Lyme-Borreliose im Spätstadium (Persistenz vermehrungsfähiger Erreger) und einer Hypothese
(garantierte Heilung durch Antibiotika) ist nicht möglich, da Unterscheidung zwischen Tatsache und Hypothese mit den Gesetzen der Logik nicht vereinbar ist.
In der praktizierten Medizin und auch in forensischen Zusammenhängen wird ein Kausalzusammenhang zwischen aufgetretener Lyme-Borreliose und dem PTLDS verneint. Die hypothetische Annahme eines
PTLDS führt auf diese Weise zur Unterlassung einer kausalen (antiinfektiösen) Behandlung und im forensischen Bereich zur Verneinung einer Beschwerdesymptomatik infolge Lyme-Borreliose.
Die Formulierung im LL-Text, dass „das PTLDS von Beschwerden durch Persistenz vermehrungsfähiger Erreger abzugrenzen sei“, müsste durch folgende Formulierung ersetzt werden: „Das hypothetisch
angenommene PTLDS lässt sich von einer Lyme-Borreliose im Spätstadium nicht abgrenzen“.
Überdies ist zu beachten, dass im LL-Text im Zusammenhang mit dem PTLDS ausschließlich Symptome aufgeführt werden, die nicht mit dem Nervensystem im Zusammenhang stehen, also einer
Lyme-Neuroborreliose nicht zuzuordnen sind.
Falls die Steuerungsgruppe der Meinung ist, dass sich das PTLDS von der Lyme-Borreliose im Spätstadium abgrenzen lässt, möge sie dies mit Literatur belegen.
Im Kapitel 4.3 sollte also lediglich zur Darstellung kommen, dass ein PTLDS eine Hypothese darstellt und von einer Lyme-Neuroborreliose im Spätstadium nicht abgrenzbar ist. Alle sonstigen
Feststellungen im LL-Text im Kapitel 4.3 sind „suggestiv irreführend“ und enthalten keine medizinisch oder forensisch relevanten Informationen.
Falls die Steuerungsgruppe einer weitgehenden Änderung des Kapitels 4.3 nicht zustimmt, beantragt die DBG einen Dissenshinweis:
Dissenshinweis
Das PTLDS stellt eine Hypothese dar. Es handelt sich um Symptome, die bei nachgewiesener Lyme-Borreliose auftraten und nach antibiotischer Behandlung nicht
verschwanden. In diesem Zusammenhang wird angenommen, dass eine so genannte adäquate Behandlung nach Standard, basierend auf Meinungen (Empfehlungen) verschiedener Fachgesellschaften und nicht
auf evidenzbasierten Studien, die Beseitigung der Lyme-Borreliose garantiert. In der praktizierten Medizin und in forensischen Zusammenhängen wird oft ein Zusammenhang zwischen Lyme-Borreliose
und PTLDS negiert und zwar grundsätzlich ohne Angabe von Gründen, da keine wissenschaftliche Literatur zur Problematik vorliegt. – Eine Unterscheidung zwischen einer Lyme-Borreliose im
Spätstadium und einem so genannten PTLDS ist nicht möglich. Die Lyme-Borreliose im Spätstadium ist als Krankheitszustand in der wissenschaftlichen Literatur eindeutig definiert, es handelt sich
also um eine Tatsache, das PTLDS ist dagegen eine Hypothese. Eine Unterscheidung zwischen Tatsache und Hypothese ist mit den Gesetzen der Logik nicht vereinbar.
4.2.4.
Mit E-Mail vom 30.03.17 hatte die DBG die Steuerungsgruppe gebeten, zu dem von der DBG eingebrachten Text Stellung zu nehmen. Dieser besonders wichtigen Forderung der DBG hat die Steuerungsgruppe
nicht entsprochen. Es wird daher auf die Ausführungen der DBG, E-Mail 30.03.17 Punkt 4.2.4 verwiesen.
Das Kapitel 4.2. trägt den Titel „Vermeintliche chronische Neuroborreliose“. Der Begriff „vermeintliche“ impliziert eine Negierung. Die DBG ist der Ansicht, dass eine chronische Neuroborreliose
mit der in der Literatur vielfach belegten Lyme-Neuroborreliose im Spätstadium identisch ist. Bei der chronischen Neuroborreliose persistiert die Infektion, die ihrerseits den Krankheitsprozess
unterhält. Die Ansicht der Steuerungsgruppe, dass sich die Begriffe „chronische Lyme-Borreliose“ oder „chronische Neuroborreliose“ verwirrenderweise überlappen, kann die DBG nicht nachvollziehen.
Eine chronische Lyme-Borreliose bezeichnet die Persistenz der
Infektion mit Symptomen, die bei der Lyme-Borreliose in der Literatur beschrieben sind. Die chronische Lyme-Neuroborreliose bezeichnet die persistierende Infektion mit fortbestehenden
rezidivierenden oder neu auftretenden neurologischen Symptomen.
Das Kapitel 4.2. „Vermeintliche chronische Neuroborreliose“ verharmlost das Problem der Lyme-Borreliose und Lyme-Neuroborreliose im Spätstadium (identisch mit chronischer Lyme-Borreliose bzw.
chronischer Lyme-Neuroborreliose). Unter
Bezugnahme auf verschiedene Literaturstellen heißt es im LL-Text: „Bei einem kleineren Anteil der Patienten wurde eine gesicherte Lyme-Borreliose diagnostiziert, bei 6 % - 20 % ein PTLDS“. Der
LL-Text bezieht sich dabei im Wesentlichen auf die Literaturstellen Hassett et al, 2009, Ljostad und Mygland 2012, Djukic et al, 2011, und Coumou et al, 2015.
In der Arbeit von Hassett et al wurden 240 Patienten untersucht, bei denen eine persistierende Bb-Infektion zunächst angenommen wurde. Die Überprüfung ergab, dass bei 60 % die Symptome nicht
durch eine persistierende Lyme-Krankheit erklärt werden konnte. Eine „chronische Multisymptomkrankheit“ lag jedoch häufiger vor als in der Kontrollgruppe. In der Publikation von Ljostad und
Mygland wurden 29 Patienten untersucht, die ihre Symptome auf eine chronische Lyme-Borreliose zurückführten (also keine ärztliche Diagnose). Eine persistierende Bb-Infektion konnte jedoch in
keinem Fall nachgewiesen werden. Die Autoren weisen jedoch darauf hin, dass die derzeitigen diagnostischen Kriterien in ihrer Funktion bei Patienten mit lang anhaltenden Beschwerden kontrovers
sind. – Die Arbeit von Djukic et al befasst sich als einzige der genannten Publikationen mit der Lyme-Neuroborreliose. Untersucht wurden 122 Patienten, davon litten 9 Patienten an einer akuten
Borreliose. Einer der 9 Patienten erfüllte die Kriterien einer akuten Lyme-
Neuroborreliose. Dieser Patient wurde drei Wochen mit Ceftriaxon behandelt. Sechs Monate später traten jedoch erneut Kopfschmerzen und andere Symptome (einer LNB) auf. Die Autoren vertreten die
Ansicht, dass die Daten zu weiteren Studien mit
neuen experimentellen Parametern anregen sollten. Aus einer Gruppe von 95 Patienten mit vorausgegangener Lyme-Borreliose und antibiotischer Behandlung litten knapp 30 % an Symptomen ohne „einen
nachweisbaren somatischen Grund“.
Bei der Publikation von Coumou et al, 2015 handelt es sich um eine retrospektive Studie an 200 Patienten, die unter folgenden Diagnosen eingewiesen worden waren: Lyme-Borreliose, PTLDS,
persistierende Bb-Infektion trotz antibiotischer Behandlung oder ohne Hinweis auf Lyme-Borreliose. 60 % hatten keine Lyme-Borreliose, 16 % litten an einer lokalisierten disseminierten
Lyme-Borreliose, bei 17 % wurde ein PTLDS angenommen, bei 8 % wurde die Diagnose einer persistierenden Lyme-Borreliose gestellt. Die Autoren weisen darauf hin, dass die Zahl von Fällen
persistierender Lyme-Borreliose niedrig ist, zugleich betonen sie, dass der Beweis
oder der Ausschluss eines Krankheitszusammenhanges mit Bb oft eine Herausforderung darstellt.
Es ist nicht nachvollziehbar, dass die Steuerungsgruppe auf der Basis dieser Literatur die Existenz einer chronischen Lyme-Borreliose in Zweifel zieht. Unbestritten ist, dass bei vielen
Krankheitssituationen Fehldiagnosen vorkommen. Dies gilt auch für fälschliche Annahme einer Lyme-Borreliose bei Krankheitszuständen anderer Ursache. Dies rechtfertigt jedoch nicht die chronische
Lyme-Borreliose zu bagatellisieren.
Noch problematischer ist die Bezugnahme auf die Arbeit von Feder et al, 2007. Es handelt sich nicht um eine Studie, sondern um eine Meinungspublikation mit zahlreichen willkürlichen Behauptungen
und Annahmen ohne wissenschaftliches Fundament.
Falls die Steuerungsgruppe weiterhin eine Diskussion über diese wichtige Angelegenheit verweigert, beantragt die DBG einen Dissenshinweis:
Dissenshinweis
Die chronische Lyme-Borreliose und die chronische Lyme-Neuroborreliose sind begrifflich identisch mit der LB bzw. LNB im Spätstadium. Die LB im Spätstadium bei persistierender Infektion nach
antibiotischer Behandlung ist in der Literatur vielfach beschrieben und häufig belegt durch Erregernachweis. Der Krankheitszustand beruht auf einer persistierenden Infektion und erfordert eine
adäquate antibiotische Behandlung.
4.4
Die DBG ist der Ansicht, dass die Encephalopathie bei der Lyme-Borreliose im Spätstadium durch die eingereichte Literatur eindeutig belegt wird. Über die Einbeziehung der Literaturstellen und
deren Aussagekraft entscheidet die DBG in Eigenständigkeit. Falls die Steuerungsgruppe bestimmte Literaturquellen nicht akzeptiert, möge sie diese benennen und ihre Ablehnung begründen.
Die DBG ist der Überzeugung, dass die Encephalopathie eine sehr häufige Manifestation der Lyme-Borreliose und Lyme-Neuroborreliose im Spätstadium darstellt. Die entsprechende Literatur wurde
benannt. Unbestritten ist allerdings die Tatsache, dass die Pathogenese der Lyme-Encephalopathie ungeklärt ist. Der Hinweis der Steuerungsgruppe auf die Encephalitis oder eine
„toxisch-metabolische“ Encephalopathie ist nicht nachvollziehbar. Die Angabe von vermeintlichen Ursachen bei tatsächlich ungeklärter Pathogenese widerspricht einmal mehr den Gesetzen der Logik.
Auch der Hinweis der Steuerungsgruppe, dass andere Autoren den Begriff der Lyme-Encephalopathie im Zusammenhang mit kognitiven Beschwerden bei PTLDSPatienten verwenden, ist unverständlich, da das
PTLDS eine Hypothese darstellt und somit auch diese Argumentation (bei ungeklärter Pathogenese) unlogisch wäre.
Falls die Steuerungsgruppe keine Änderung des Textes vornimmt, wird ein Sondervotum beantragt:
Sondervotum
Die Encephalopathie kommt bei der Lyme-Borreliose und Lyme-Neuroborreliose im Spätstadium bei mindestens 60 % der Fälle vor. Sie führt zu erheblichen kognitiven und affektiven Störungen mit
entsprechender Auswirkung auf die Sozialfunktionen.
5.3
Die Annahme oder Behauptung der Steuerungsgruppe, dass die DBG für eine antibiotische Behandlung von Defektheilungen plädiert, ist unzutreffend und unbegründet. Die im LL-Text erwähnten
„Residualsymptome“ sind identisch mit einem PTLDS und haben mit Defektheilung nichts zu tun. Die DBG fordert an dieser Stelle ein Sondervotum:
Sondervotum
Evidenzbasierte Studien zur antibiotischen Behandlung der Lyme-Borreliose und Lyme-Neuroborreliose liegen nur für das Frühstadium vor, nicht jedoch für das Spätstadium. Die Übertragung von
Behandlungsprinzipien des Frühstadiums auf das Spätstadium ist daher wissenschaftlich nicht begründet. Dies gilt insbesondere für die Angaben in Tabelle 5 zur antibiotischen
Behandlung der späten Neuroborreliose.
Die Steuerungsgruppe bemängelt, dass die DBG zur Problematik fehlender Literatur im Hinblick auf die antibiotische Behandlung im Spätstadium keine weitere Literatur vorlegt. Auch diese Einlassung
der Steuerungsgruppe ist unlogisch: Wenn evidenzbasierte Studien zur antibiotischen Behandlung des Spätstadiums nicht vorliegen, können „keine Studien vorgelegt werden, die neue Aspekte
enthalten“.
Im Übrigen bezieht sich die DBG auf den gesamten bisherigen Sachvortrag. Die von der DBG jetzt benannten Sondervoten werden bereits jetzt zur Arbeitsbeschleunigung vorgelegt, allerdings unter
Vorbehalt. Die Sondervoten bedürfen einer sorgfältigen Prüfung durch den Vorstand der DBG.
Anlage 1
Pleozytose bei Encephalitis / Myelitis
Cerebrospinal fluid findings in aquaporin-4 antibody positive neuromyelitis optica: results from 211 lumbar punctures.
Jarius S, Paul F, Franciotta D, Ruprecht K, Ringelstein M, Bergamaschi R, Rommer P, Kleiter I, Stich O, Reuss R, Rauer S, Zettl UK, Wandinger KP, Melms A, Aktas O, Kristoferitsch W, Wildemann
B. J
Neurol Sci 2011; 306(1-2):82-90.
Pleozytose bei 50 % der Liquorproben. Pleozytose meistens geringfügig, durchschnittlich 19 Zellen / ul.
CSF pleocytosis and expansion of spinal lesions in Japanese multiple sclerosis with special reference to the new diagnostic criteria.
Fukazawa T, Kikuchi S, Miyagishi R, Miyazaki Y, Fukaura H, Yabe I, Hamada T, Tashiro K, Sasaki H. J
Neurol 2005; 252(7):824-9.
Nach neuen diagnostischen Kriterien gilt eine Pleozytose von über 50 / mm3 als Ausschlusskriterium.
CSF characteristics in early-onset multiple sclerosis.
Pohl D, Rostasy K, Reiber H, Hanefeld F.
Neurology 2004; 63(10):1966-7.
Pleozytose bei MS in 66 % der Fälle.
Cerebrospinal fluid pleocytosis in multiple sclerosis patients with lesions showing reduced diffusion.
Eisele P, Szabo K, Griebe M, Wolf ME, Hennerici MG, Gass A.
Mult Scler 2014:20(10):1391-5.
Pleozytose (11 – 46 Zellen / ul) ist offensichtlich ein sehr frühes und vorübergehendes Phänomen bei MS.