Priv. Doz. Dr. med. W. Berghoff
Facharzt für Innere Medizin
Telemannstraße 1
53359 Rheinbach, den 02.11.2016
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Priv. Doz. Dr. med. Berghoff – Telemannstraße 1 – 53359 Rheinbach
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Schriftliches Gutachten PD Dr. Rupprecht, Neurologe 13.09.16
AZ S 8 U 242/15
Entsprechend Ihrem Auftrag vom 07.10.16 wird im Folgenden zum o.g. Gutachten von PD Dr. Rupprecht eine
GUTACHTERLICHE STELLUNGNAHME
abgegeben.
Bei der jetzigen gutachterlichen Stellungnahme wird zu verschiedenen Textpassagen im Gutachten Dr. Rupprecht 13.09.16 Stellung genommen. Diese Textpassagen werden durch fortlaufende Randziffern gekennzeichnet. Die Inhalte werden zunächst zitiert (Zitat) und unmittelbar danach kritisch kommentiert (Stellungnahme). Der mit Randziffern versehene Text (Gutachten PD Dr. Rupprecht) wird als Anlage 1 der vorliegenden gutachterlichen Stellungnahme beigefügt.
Die jetzige Stellungnahme befasst sich nicht mit dem Abschnitt „A. Aktenlage“, sondern bezieht sich auf die Abschnitte „B. bis E“.
1.
Zitat
07/14 bis 09/15 antibiotische Behandlung (unter der Diagnose „Borreliose + humane Ehrlichiose“) mit Ceftriaxon, Minocyclin, Azithromycin, Tinidazol. Unter der antibiotischen Behandlung ganz langsam bergauf.
01/15 keine neuen Läsionen im Gehirn im MRT. Mitte 2015 wurde Natalizumab abgesetzt. Nach einem oder zwei Monaten Rückfall, dann nochmal Einnahme von Minocyclin, danach wurde es immer normaler, in ihrem Kopf sei dann „etwas passiert“.
Stellungnahme
Die antibiotische Behandlung wird von Dr. Rupprecht korrekt geschildert. Unzutreffend ist die Behauptung, dass in 01/15 eine MRT des Gehirns durchgeführt wurde. Tatsächlich wurden in 10/13 und 04/15 MRT-Untersuchungen durchgeführt. Bei der Untersuchung am 22.10.13 formulieren die Radiologen: „Unter Berücksichtigung der bekannten Borreliose-Anamnese vor einem Jahr ist hier primär an eine Neuroborreliose zu denken“. Im Befund vom 01.04.15 heißt es: „Stabile Läsionslast, keine neuen Herde“.
Unzutreffend ist, dass nach Absetzen von Natalizumab (nach Auskunft der Klägerin in 07/15) ein Rückfall auftrat. Tatsachlich blieb das Beschwerdebild zu diesem Zeitpunkt unverändert. Überdies sei angemerkt, dass das Natalizumab (Medikament gegen Rückfall bei MS) seit 07/15 nicht mehr eingesetzt wurde.
Unzutreffend ist auch die Angabe von Dr. Rupprecht, dass es nach Absetzen von Natalizumab etwa ein oder zwei Monate später zu einem Rückfall kam. Vielmehr hat sich das Krankheitsbild nach Absetzen von Natalizumab in 07/15 zu keinem Zeitpunkt verschlechtert, sondern vielmehr stetig gebessert.
Unzutreffend ist auch, dass wegen eines angeblichen Rückfalls erneut Minocyclin eingesetzt wurde. Zutreffend ist, dass das Minocyclin im Rahmen der durchgeführten antibiotischen Behandlung wiederholt eingesetzt wurde und zwar jeweils über Zeiträume von mehreren Wochen bis zu Monaten.
Unzutreffend ist auch, dass „es immer normaler wurde in ihrem Kopf etwas passiert sei“. Tatsächlich war die Beschwerdesymptomatik seit Beginn der antibiotischen Behandlung beginnend in 07/14 rückläufig, allerdings zunächst nur zögerlich, erst seit 12/15 zeigte sich in der Folgezeit eine sehr deutliche Besserung der Krankheitssymptome, d.h. die wesentliche Besserung trat etwa sechs Monate nach Absetzen von Natalizumab und drei Monate nach Beendigung einer längeren antibiotischen Behandlung ein.
Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass in 01/16, also etwa ein Monat nach Einsetzen der deutlichen Besserung noch einmal eine antibiotische Behandlung erfolgte und zwar mit Minocyclin für drei Monate. Der Grund war im Wesentlichen die kognitive Störung, die sich seit Wiederaufnahme der antibiotischen Behandlung mit Minocyclin in 01/16 rasch besserte und sich danach, d.h. während der antibiotischen Behandlung in 2016 und danach, d.h. seit 03/16 nicht mehr wesentlich verschlechterte. Allerdings bestehen weiterhin kognitive Störungen, jedoch bei Weitem nicht in der Ausprägung wie vor der antibiotischen Behandlung.
2.
Zitat
Am 09.02.16 Läsion im Hirnstamm komplett rückläufig.
Stellungnahme
Tatsächlich heißt es in dem entsprechenden Befund vom 10.02.16: „Verglichen zu den Voraufnahmen aus 01, 04 und 11/15 weiterhin zunehmende Herdrückbildung. Kein Nachweis neuer Herdbefunde. Kein Nachweis eines pathologischen Enhancements (Zeichen für aktive Entzündung, Anm. Dr. Berghoff)“.
Im Befundtext heißt es zudem: „Der große Ponsherd lässt sich heute nicht mehr darstellen“. Mit der Formulierung von Dr. Rupprecht „komplett rückläufig“ ist also gemeint, dass sich der Herd im Hirnstammbereich (Pons) nicht mehr nachweisen ließ.
3.
Zitat
Aktuelle Beschwerden:
Stellungnahme
Auch diese Formulierung des Gutachters Dr. Rupprecht ist unkorrekt, es handelt sich nicht um „regelmäßige Rückfälle“, vielmehr bestand eine ständige Beschwerdesymptomatik, die sich wiederholt verschlechterte und zwar etwa alle zwei bis sechs Wochen für etwa 1 bis 6 Tage, d.h. also, dass etwa einmal im Monat für einige Tage die Beschwerden etwas ausgeprägter waren.
4.
Zitat
Aktuelle Beschwerden:
Stellungnahme
Zur Klärung des Sachverhaltes ist es sinnvoll, nicht sämtliche Symptome zur Beurteilung des Krankheitsverlaufes zu Grunde zu legen, sondern die so genannten Hauptbeschwerden. Diese werden im Folgenden für den Zeitpunkt 07/14 (Beginn der antibiotischen Behandlung) und für 12/15 (deutliche Besserung der Beschwerdesymptomatik) dargestellt.
Hauptbeschwerden 07/14:
Es ist unverständlich, dass all diese schwerwiegenden und sehr belastenden Symptome vom Gutachter Dr. Rupprecht in seinem Gutachten nicht erwähnt werden (abgesehen von „Müdigkeit“), obwohl die Klägerin dem Gutachter Dr. Rupprecht die Beschwerdesymptomatik schriftlich vorlegte und die o.g. Hauptbeschwerden ihm auch mündlich vortrug.
Hauptbeschwerden in 12/15 (nach antibiotischer Langzeitbehandlung):
Anmerkung:
Nach der endgültigen Beendigung der antibiotischen Behandlung in 03/16 (zuletzt mit Minocyclin) wurde die Behandlung nicht weiter fortgesetzt, da der betreuende Arzt von einer solchen Fortsetzung abriet. Er teilte der Patientin jedoch mit, dass bei Zunahme der Beschwerden erneut eine antibiotische Behandlung aufgenommen werden würde. Nach der günstigen Erfahrung mit der zuvor durchgeführten antibiotischen Behandlung neigt die Patientin bei der bestehenden Beschwerdesymptomatik eher dazu, die antibiotische Behandlung in adäquater Form wieder aufzunehmen, um die Restbeschwerden weiter zu bessern.
5.
Zitat
Beurteilung der mitgebrachten cMRT-Bilder:
21.10.13 Läsion dorsal des linken Seitenventrikelhinterhorns, flaue KM-Aufnahme. Läsion Pons, flaue KM-Aufnahme.
12.12.13 Läsion (dorsal) des linken Seitenventrikelhinterhorns, größenprogredient, Pons unverändert. Neue Läsion: subkortikal parietal links mit KM-Aufnahme.
21.03.14 Läsion dorsal des linken Seitenventrikelhinterhorns unschärfer, keine KM-Aufnahme. Läsion Pons zunehmend unscharf, keine KM-Aufnahme. Läsion links subkortikal Größe unverändert, keine KM-Aufnahme. Insgesamt Größe der Läsionen unverändert, jedoch keine KM-Aufnahme mehr.
04.02.16 Läsion in der Pons kaum noch abgrenzbar. Läsion links subkortikal kaum noch abgrenzbar. Läsion dorsal des linken Seitenventrikelhinterhorns unverändert, jedoch keine KM-Aufnahme.
Radiologische Verdachtsdiagnose:
Primärmanifestation einer Multiplen Sklerose, kein Hinweis auf eine Neuroborreliose.
Stellungnahme
Pauschal kann festgestellt werden, dass ab 10/13 an drei Stellen Läsionen nachgewiesen wurden:
Zu Beginn, d.h. in 10/13 zeigte sich bei den Läsionen eine KM-Aufnahme als Zeichen einer floriden Entzündung. 03/14 Rückbildung der Läsionen und keine Kontrastmittelaufnahme mehr (keine floride Entzündung). 02/16 Läsionen kaum noch abgrenzbar, keine neuen Läsionen.
Der MRT-Befund des Gehirns war also in 10/13 ausgeprägt und bei den folgenden Kontrollen stetig rückläufig und schließlich in 02/16 nahezu verschwunden.
Im selben Zeitraum zeigt sich eine kontinuierliche Beschwerdesymptomatik in Form einer äußerst vielfältigen Symptomatik, wobei die meisten Symptome nicht zu einer Multiplen Sklerose passen, sehr wohl dagegen zu einer Lyme-Borreliose und Lyme-Neuroborreliose im Spätstadium. Die MS ist eine Erkrankung des zentralen Nervensystems, so dass die einzige Symptomatik, die mit MS vereinbar ist, die bei der Klägerin aufgetretene Paraparese (Lähmung der Beine) darstellt. Bei pauschaler Betrachtung zeigt sich also eine vielfältige Symptomatik mit einer Krankheitsdauer von über einem Jahr, während andererseits die Entzündungszeichen im Gehirn stetig zurückgehen.
Sowohl die kontinuierliche vielfältige Symptomatik (nicht nur in Bezug auf das zentrale Nervensystem), als auch der komplette Rückgang der Läsionen im cMRT sind mit einer schubförmig verlaufenden Multiplen Sklerose nicht vereinbar. Bei der Beurteilung der cMRT-Aufnahme wird unverständlicherweise von einem radiologischen Verdacht auf eine Primärmanifestation einer Multiplen Sklerose gesprochen. Typisch für eine MS ist jedoch das Auftreten solcher Läsionen in Verbindung mit einem klinischen Schub und eine nachfolgende Rückbildung. Ein schubförmiger Verlauf der für die Diagnose einer MS nach den McDonald Kriterien Revision 2010 unerlässlich ist, lässt sich weder bei der klinischen Symptomatik noch bei den cMRT-Aufnahmen erkennen. Es handelt sich vielmehr um ein lang anhaltendes Krankheitsbild mit einer Krankheitsdauer von deutlich über einem Jahr mit einer schließlich generellen allmählichen Besserung der Beschwerdesymptomatik. Dies gilt insbesondere auch für das einzige Symptom, das mit einer MS im vorliegenden Fall vereinbar ist, nämlich für die Paraparese.
Die Verdachtsdiagnose „Primärmanifestation einer Multiplen Sklerose“ wird im Gutachten nicht begründet und nicht erläutert und steht im krassen Widerspruch zur wissenschaftlichen Literatur und zu den oben erwähnten diagnostischen Kriterien nach McDonald, die im vorliegenden Fall nicht erfüllt sind, deren Erfüllung jedoch Voraussetzung dafür sind, das eine Multiple Sklerose diagnostiziert werden darf.
Noch unverständlicher ist die Feststellung im Gutachten, dass kein Hinweis auf eine Neuroborreliose besteht. Tatsächlich sind die Läsionen im MRT ein bei der Lyme-Borreliose häufig erhobener Befund. Überdies lässt sich anhand des MRT zwischen Multipler Sklerose und Neuroborreliose nicht unterscheiden (W. Berghoff, Lehrbuch „Lyme-Borreliose“, 2016, Kapitel 14, 12.34, 12.35).
Bei Liquoruntersuchung am 15.08.12 Nachweis eines pathologischen Antikörperindex IgM AK Borrelien; dieser Befund gilt als Parameter für eine gesicherte Diagnose einer Lyme-Neuroborreliose.
Die wesentlichen Befunde bei MS bzw. LNB sind in der Anlage 2 dargestellt.
In Bezug auf die vorliegende Problematik seien die wichtigsten Punkte zur Differenzierung zwischen MS und LNB benannt:
6.
Zitat
Etwa 08/12 Erythema migrans mit Begleitsymptomatik (grippeartige Symptome, Gelenkschmerzen im rechten Kniegelenk).
Stellungnahme
Ein Erythema migrans ist für das Frühstadium einer Lyme-Borreliose krankheitsbeweisend. Dies wird auch im Gutachten von PD Dr. Rupprecht nicht in Frage gestellt.
7.
Zitat
Seit dem 06.08.12 antibiotische Behandlung (Cefuroxim, nachfolgend Tetracyclin). Hierunter Erythema migrans nach vier bis fünf Wochen rückläufig. In 11/12 EM definitiv verschwunden.
Stellungnahme
Laut Gutachten PD Dr. Rupprecht, Seite 3 wurde mit Datum 15.08.12 ein pathologischer Antikörperindex IgM AK von 2,6 festgestellt, Norm < 1,1. Dieser Befund beweist, dass bei der Klägerin eine Lyme-Neuroborreliose vorgelegen hat oder zum Zeitpunkt der Untersuchung vorlag. Am 15.08.12 (also bei Vorliegen des Erythema migrans) lag also eine Lyme-Neuroborreliose vor, die nach den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie als gesichert gilt.
Das EM verschwand also erst drei Monate nach Beginn bzw. ein Monat nach Ende der antibiotischen Behandlung. Es lag also ein sehr zögerlicher Rückgang des EM vor. Zu beachten ist zudem, dass Tetracyclin für die Behandlung des EM nicht empfohlen wird. Dies entspricht auch dem Inhalt der Leitlinie „Neuroborreliose“ der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Entsprechend Leitlinien wird die Behandlung mit Doxycyclin empfohlen, das zur Gruppe der Tetracycline gehört, jedoch nicht der Substanz Tetracyclin gleichzusetzen ist. Der Begriff „Tetracyclin“ ist also Oberbegriff (für die Antibiotika-Gruppe) und Unterbegriff für eine bestimmte Form aus dieser Gruppe.
Bezüglich der Wirksamkeit der eingesetzten Antibiotika sei im Hinblick auf nachfolgende Passagen bereits jetzt darauf hingewiesen, dass die antibiotische Behandlung erst drei Wochen nach Beginn der Infektion einsetzte. Eine antibiotische Behandlung im Frühstadium ist bei frühem Einsatz sehr effektiv. Signifikante Unterschiede in der Effizienz wurden wissenschaftlich für das Zeitlimit vier Wochen nachgewiesen. Im vorliegenden Fall kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die verzögerte antibiotische Behandlung zu Therapieversagen führte. grundsätzlich ist zu beachten, dass etwa 10 % der Patienten mit Lyme-Borreliose im Frühstadium auf die in den Leitlinien empfohlene Behandlung nicht ansprechen.
8.
Zitat
Unter der Therapie kam es zu keiner Ausbildung von IgG Antikörpern.
Stellungnahme
Unter antibiotischer Behandlung einer Lyme-Borreliose im Spätstadium kann die Ausbildung von Antikörpern verzögert werden, während die Borrelien im Körper persistieren (Anlage 3). Im Übrigen ist die Entwicklung von IgG Antikörpern bei der Lyme-Borreliose nicht obligat. Entscheidend ist jedoch die Tatsache, dass das Erythema migrans für das Frühstadium der Lyme-Borreliose krankheitsbeweisend ist. Es ist daher unverständlich, dass der Vorgutachter PD Dr. Rupprecht serologische Befunde diskutiert, obwohl die Krankheit bei der Klägerin durch das Erythema migrans bewiesen ist.
Bereits an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass entgegen der Auffassung des Vorgutachters PD Dr. Rupprecht das Vorliegen von IgG Antikörpern im Spätstadium nicht obligat ist. Gegenteilige Meinungen in der Literatur stützen sich im Wesentlichen auf zwei Publikationen, nämlich auf die Publikation von Hansen und Asbrink, 1989 und die von Wilske et al, 1993. Beide Publikationen stellen jedoch methodologische Studien dar und nicht etwa Studien über die Häufigkeit von IgG bei der Lyme-Borreliose im Spätstadium (Anlage 4).
9.
Zitat
Das Erythema migrans wurde erfolgreich antibiotisch behandelt.
Stellungnahme
Diese Behauptung ist unzutreffend und wird nicht begründet. Tatsächlich kann die Versagerquote der antibiotischen Behandlung im Frühstadium bis zu 15 % betragen. Diesbezüglich sei insbesondere auf die Arbeit von Dattwyler et al, 1997 verwiesen (Anlage 5).
Die in diesem Zusammenhang vom Vorgutachter PD Dr. Rupprecht genannte Literatur (Cerar et al, 2010, Kowalski et al, 2010 und Stupika et al, 2012) machen zur Versagerquote der antibiotischen Behandlung des Erythema migrans keine entsprechenden Angaben. In der Arbeit von Cerar et al wurden „subjektive Symptome nach Behandlung einer Lyme-Borreliose“ untersucht. Die Autoren selbst stellen fest, dass es sich nur um eine orientierende Studie handelt und dass künftige Studien zu der Problematik „unspezifische Beschwerden“ bei so genannten Post Lyme Disease Symptomen eine Kontrollgruppe einbeziehen sollen. Die Arbeit von Cerar et al, 2010 bezieht sich also auf ein so genanntes Post Lyme Disease Syndrom, das als Krankheit (nosologische Entität) in der Literatur nicht definiert ist.
In der Publikation von Kowalski et al wurde eine persistierende Lyme-Borreliose, d.h. ein Therapieversagen nur dann angenommen, wenn folgende Symptome persistierten: Arthritis, Meningitis, Fazialisparese, Neuroradikulitis. Eine Arthritis tritt jedoch nur bei 40 % der Fälle auf, eine Meningitis bei 2 %, eine Fazialisparese bei 3 % und eine Neuroradikulitis bei 7 %. Das Fehlen solch seltener Symptome (abgesehen von Arthritis) kann also eine Lyme-Borreliose im Spätstadium nicht ausschließen. – Entscheidend ist jedoch die Tatsache, dass bei der Klägerin tatsächlich Arthritiden und Neuroradikulitis auftraten.
In der Arbeit von Stupika et al, 2012 wurde nachgewiesen, dass nach antibiotischer Behandlung des Erythema migrans bei gut 40 % der Patienten erhebliche Beschwerden persistierten. Bezüglich weiterer Einzelheiten sei auf die Anlage 6 verwiesen.
10.
Zitat
Eine Erregerpersistenz ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen.
Stellungnahme
Diese Behauptung ist falsch und wird entsprechend vom Vorgutachter PD Dr. Rupprecht durch Literatur nicht belegt.
11.
Zitat
Ab 09/13 Gefühlsstörungen linke Körperhälfte. Laut Entlassungsbrief des Westpfalzklinikums (siehe Seite 4, (gemeint ist der stationäre Aufenthalt vom 15.-16.10.13, Anm. Dr. Berghoff)) begann Symptomatik erstmals am 10.10.13 mit für 20 – 30 Minuten auftretenden Gefühlsstörungen des linken Armes und Beines bis zu 15 Mal pro Tag.
Stellungnahme
Zu dieser Problematik liegen zwei Arztbriefe des Westpfalzklinikums Kaiserslautern vor, nämlich vom 22.10.13 (erster Brief) und vom 28.10.13 (zweiter Brief).
In dem ersten Brief heißt die Diagnose: „Rezidivierendes akut einschießendes Taubheitsgefühl der linken Körperhälfte unklarer Genese“.
Im zweiten Arztbrief lautet die Diagnose: „CIS“. Unter „Anamnese“ heißt es: „Verkrampfungen des linken Armes, des Beines sowie des Gesichtes, der Zunge. Seit 10 Tagen etwa 15 Mal täglich für 30 Sekunden. – Liquor oligoklonale Banden nachweisbar, sonst unauffällig. – Keine Multiple Sklerose gemäß McDonald Kriterien“.
In den beiden Arztbriefen des Westpfalzklinikums ist also im ersten Arztbrief von rezidivierenden Taubheitsgefühlen der linken Körperhälfte, im zweiten Arztbrief dagegen von Verkrampfungen in den linksseitigen Extremitäten des Gesichtes und der Zunge die Rede.
Entscheidend in diesem Zusammenhang ist jedoch die Tatsache, dass der Vorgutachter PD Dr. Rupprecht an dieser Stelle zahlreiche Symptome unerwähnt lässt, die mit einer MS nicht vereinbar sind, wohl aber mit einer Lyme-Borreliose:
Von herausragender Bedeutung ist jedoch die Tatsache, dass in 08/13, also zwei Monate vor der Untersuchung im Westpfalzklinikum folgende Beschwerden auftraten, die mit einer Lyme-Borreliose bzw. Lyme-Neuroborreliose vereinbar sind, jedoch nicht mit einer schubförmig verlaufenden Multiplen Sklerose (RRMS):
Unberücksichtigt bleibt vom Vorgutachter PD Dr. Rupprecht auch die Tatsache, dass in der Neurologischen Universitätsklinik Mainz (laut Arztbrief 18.12.13) die Fehldiagnose einer konzentrischen Sklerose Balo gestellt wurde. Bei dieser Krankheit handelt es sich um eine Entmarkungskrankheit (wahrscheinlich Sonderform der chronisch progredienten Multiplen Sklerose). Anfangs treten fokale Anfälle auf, im weiteren Verlauf rasch progrediente Paresen und Demenz. Prognose infaust. Die Diagnose stützte sich (wahrscheinlich) im Wesentlichen auf die Erscheinungsform der Hirnveränderungen im MRT. Der Krankheitsverlauf gestaltete sich jedoch in der Folgezeit sehr günstig, so dass ein Morbus Balo auszuschließen ist.
12.
Zitat
Das MRT vom 22.10.13 zeigt entzündliche Herde im Gehirn. Ein großer Herd im Stammhirn (gemeint ist Pons, Anm. Dr. Berghoff). Nach Durchsicht mit einem Radiologen spricht der Befund für eine MS.
Stellungnahme
Zunächst sei darauf hingewiesen, dass sich die Veränderungen im MRT seit 10/13 kontinuierlich zurückgebildet haben und laut Bericht des Radiologen Dr. Peters vom 10.02.16 kaum mehr zur Darstellung kommen.
Von grundsätzlicher Bedeutung ist jedoch die wissenschaftlich belegte Tatsache, dass anhand des cMRT eine Unterscheidung zwischen MS und Lyme-Neuroborreliose nicht möglich ist (Anlage 7, Seite 271).
13.
Zitat
Die Radiologen Dr. Janné / Dr. Peters waren der Ansicht, dass die Befunde zu einer Neuroborreliose passen. (Sinngemäß): Diese Fehleinschätzung basiert jedoch durch Beeinflussung der Radiologen, indem der anfordernde Arzt die Verdachtsdiagnose einer Lyme-Neuroborreliose angibt. Die Veränderungen sind in keiner Weise typisch für eine Neuroborreliose (Aalto et al, 2007).
Stellungnahme
Zu der Einschätzung der diagnostischen Kompetenz von Dr. Janné / Dr. Peters erübrigt sich eine Stellungnahme. Im Übrigen sei darauf hingewiesen, dass Dr. Peters im Zusammenhang mit dem cMRT vom 10.02.16 Folgendes feststellt: „Klinische Angaben: Entzündliche ZNS-Erkrankung, Verlaufskontrolle. Die in Voraufnahmen dargestellten entzündlichen Herdbefunde supratentoriell und periventrikulär zeigen sich größenregredient. Der große Pondsherd lässt sich heute nicht mehr darstellen. – Beurteilung: Weiterhin zunehmende Herdrückbildung“.
Bezüglich des cMRT vom 22.10.13 hatte Dr. Peters in der Beurteilung festgestellt: „Unter Berücksichtigung der bekannten Borreliose-Anamnese vor einem Jahr ist hier primär an eine Neuroborreliose zu denken. Differentialdiagnostisch wäre auch eine Encephalitis disseminata (Multiple Sklerose, Anm. Dr. Berghoff) denkbar“. Die Darstellungen im Gutachten von PD Dr. Rupprecht sind also in diesem Punkt unpräzise und geben die tatsächliche diagnostische Einschätzung der in 10/13 untersuchenden Radiologen nicht wider.
In der zitierten Arbeit von Aalto et al, 2007 handelt es sich um eine Studie an einer kleinen Zahl von Patienten mit Lyme-Neuroborreliose und 10 Kontrollpersonen. Die Studie zeigte, dass Marklagerläsionen in beiden Untersuchungsgruppen mit gleicher Häufigkeit (kein signifikanter Unterschied) nachweisbar waren. Die Autoren sind jedoch der Meinung, dass Marklagerläsionen ein möglicher Befund bei der chronischen Lyme-Neuroborreliose darstellt. Die Arbeit macht also keinerlei Aussage für oder gegen „typische Veränderungen bei der Lyme-Neuroborreliose“.
14.
Zitat
Dies wurde so auch von den Neurologen des Klinikum Kaiserslautern eingeordnet. Die Diagnose „klinisch isoliertes Syndrom“ bedeutet (sinngemäß) ein Erstereignis einer Multiplen Sklerose bei „Nachweis fast aller diagnostischer Kriterien für eine MS“.
Stellungnahme
Das CIS (clinically isolated syndrome) geht bei Vorliegen von Läsionen im cMRT in 60% - 80% der Fälle in eine Multiple Sklerose über. Allerdings sind diese Zusammenhänge wissenschaftlich noch nicht ausreichend geklärt (Anlage 8). – Wie oben dargestellt, stellten die Ärzte des Westpfalzklinikums Kaiserslautern im Brief vom 22.10.13 die Diagnose „Rezidivierendes akut einschießendes Taubheitsgefühl der linken Körperhälfte unklarer Genese“. In dem zweiten Brief vom 28.10.13 wurde die Diagnose „CIS“ gestellt. Bei Erstellung des zweiten Arztbriefes waren die Läsionen im MRT des Gehirns nachgewiesen. Der Arztbrief vom 28.10.13 enthält folgende Informationen: „07/12 Erythema migrans, vier Wochen Cefuroxim, anschließend Tetracyclin. Keine MS (!) gemäß McDonald Kriterien“. Entgegen der Annahme des Vorgutachters PD Dr. Rupprecht haben sich die Ärzte des Westpfalzklinikums zu der Problematik CIS / MS nicht abschließend geäußert, d.h. im Arztbrief wurden von den Ärzten nicht behauptet, dass das von ihnen angenommene CIS einer nachfolgenden MS zuzuordnen sei. Unberücksichtigt bleiben im Arztbrief des Westpfalzklinikums vom 28.10.13 folgende wichtige Manifestationen, die einer Lyme-Neuroborreliose, nicht jedoch einer MS zugeordnet werden können: seit Anfang 2013 Fatigue, chronisches Krankheitsgefühl, vermehrt Schweißneigung, Kopfschmerzen, Nackensteifigkeit, Gewichtsverlust, Lymphknotenschwellung, kognitive Störungen, Schlafstörungen, Gelenkschmerzen, Rückenschmerzen, Hautjucken sowie insbesondere seit 08/13 Gelenkentzündungen (Arthritiden mehrerer Gelenke), Schwäche in den Beinen mit Reduzierung der Gehdistanz auf minimal 50 Meter, Verdacht auf rezidivierende epileptische Anfälle (laut Arztbrief Westpfalzklinikum 17.10.13), erschwerte Ausbildung und Öffnung der Hand episodisch 15 Mal / Tag, einmal ärztlich objektiviert.
15.
Zitat
Diagnose einer Multiplen Sklerose erfordert mindestens zwei Schubereignisse oder im Verlauf im cMRT Auftreten neuer Läsionen (bei bereits zuvor vorhandenen Läsionen).
Stellungnahme
Schubereignisse im Sinne von Auftreten eines neurologischen Defizits mit nachfolgend beschwerdefreiem Intervall und danach Auftreten eines erneuten neurologischen Defizits ist im Krankheitsverlauf nicht aufgetreten. Diese wichtige klinische Voraussetzung für die Diagnose einer MS liegt also nicht vor. Das Auftreten eines erneuten Herdes im cMRT bei bereits bekannten Läsionen betrifft ausschließlich den Befund vom 12.12.13, bei dem subkortikal parietal links neue Läsionen mit Kontrastmittelaufnahme nachweisbar waren. In der Folgezeit, bereits erkennbar ab 21.03.14, bildeten sich die Läsionen weitgehend zurück, Kontrastmittelaufnahme war nicht vorhanden, insbesondere traten 03/14 bis 02/16 keine neuen Läsionen mehr auf.
Auch die nahezu vollständige Rückbildung zunächst deutlicher cerebraler Läsionen über einen Zeitraum von drei Jahren ist für eine MS höchst unwahrscheinlich und in der Literatur nicht beschrieben (abgesehen von spontanen Heilungen einer MS, d.h. einer diesbezüglichen Beschwerdefreiheit; bei der Klägerin persistieren jedoch zahlreiche Symptome seit Krankheitsbeginn und zwar kontinuierlich und nicht in Form von Schüben).
16.
Zitat
(Sinngemäß): Im Universitätsklinikum Mainz wurde in 12/13 eine Behandlung mit Natalizumab durchgeführt. Dieses Medikament wird nur eingesetzt, wenn die Diagnose einer MS ausreichend gesichert ist.
Stellungnahme
Im Arztbrief der Uniklinik Mainz vom 04.01.14 lautet die Diagnose: „Multiple Sklerose (bildmorphologisch am ehesten vom Typ konzentrische Sklerose)“. Diese Diagnose entspricht einem so genannten Morbus Balo. Die Diagnose in der Uniklinik Mainz stützte sich ausschließlich auf die Bildmorphologie im Bereich der Pons und zwar basierte die Diagnose auf der Befundung der Radiologen (also nicht der Neurologen). Entscheidend ist jedoch, dass der Herd auf den sich die (falsche) Diagnose M. Balo bezog sich in den folgenden drei Jahren völlig zurückbildete. Wie oben ausgeführt ist der Morbus Balo gekennzeichnet durch eine rasche Krankheitsprogredienz, rasch progrediente Paresen und Demenz. Die Prognose ist infaust. Angesichts des tatsächlichen Krankheitsverlaufes ist also die 2014 in der Uniklinik Mainz gestellte Diagnose nicht haltbar.
Auch die Behauptung des Vorgutachters PD Dr. Rupprecht, dass der Einsatz von Natalizumab eine gesicherte MS voraussetzt und somit im vorliegenden Fall die Diagnose einer MS als gesichert gilt, ist unlogisch. Dies ergibt sich zweifelsfrei aus der Tatsache, dass es sich bei dem M. Balo (Diagnose der Uniklinik Mainz) um eine Fehldiagnose handelte.
17.
Zitat
Bei der Liquoruntersuchung im Westpfalzklinikum Kaiserslautern in 10/13 lag keine Zellzahlerhöhung oder Borrelien-spezifische Antikörper vor, so dass eine Neuroborreliose mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist (Pfister und Ruprecht 2006, Ruprecht und Pfister 2009).
Stellungnahme
Beide Publikationen stellen keine Studien dar, sondern sind „Übersichten“ in Form von Meinungspublikationen.
In der Arbeit von Pfister und Ruprecht 2006 werden die diagnostischen Kriterien einer aktiven Neuroborreliose angesprochen, d.h. entzündliche Veränderungen (im Wesentlichen Pleozytose) und Auftreten eines positiven Antikörperindex. Gegenstand der Publikation ist also die „aktive Neuroborreliose“, die in der Literatur als „akute Neuroborreliose“ bezeichnet wird. Ein solcher Krankheitszustand ist bei der Klägerin jedoch nie aufgetreten, so dass ein Bezug zum vorliegenden Sachverhalt nicht gegeben ist.
Auch die Arbeit von Ruprecht und Pfister 2009 befasst sich mit der Lyme-Neuroborreliose im Stadium II. Dies entspricht der akuten Lyme-Neuroborreliose. Die Autoren erwähnen, dass sich die Diagnose auf das klinische Bild (Meningitis, cranielle Neuritis oder Radikuloneuritis), auf eine Pleozytose und auf intrathekale Antikörper stützt. Dabei ist jedoch zu beachten, dass Voraussetzung für eine Pleozytose das Vorliegen einer Meningitis ist. Eine solche Krankheitsmanifestation ist bei der Klägerin jedoch zu keinem Zeitpunkt aufgetreten. Entscheidend ist, dass der Liquor bei einer Lyme-Borreliose im Spätstadium (ohne akute Meningitis) unauffällig ist (Anlage 9, Seite 252). Bezüglich weiterer Einzelheiten über den Liquorbefund bei der Lyme-Neuroborreliose sei auf die Anlage 10 verwiesen.
18.
Zitat
Im Liquor fanden sich oligoklonale Banden, welche typischerweise bei der Multiplen Sklerose zu finden sind.
Stellungnahme
Der Liquorbefund zählt nach der letzten Revision 2010 nicht mehr zu den diagnostischen Kriterien einer MS. Der Hinweis ist daher gegenstandslos.
19.
Zitat
Die Behandlung mit Natalizumab erfolgte über 12 Monate. Die Behandlung war erfolgreich, da keine neuen Entzündungsherde auftraten.
Stellungnahme
Auch diese Feststellung des Vorgutachters PD Dr. Rupprecht ist unzutreffend. Die so genannten Immunmodulatoren zu denen auch Natalizumab gehört, wurden im Hinblick auf die „Beseitigung“ von cerebralen Läsionen im MRT nie untersucht. Die einzige Wirkung der immunmodulatorischen Behandlung besteht in der Verlängerung des Intervalls zwischen Schüben einer MS. Ein solcher Effekt wird bei (nur) 30 % der Patienten erzielt, wobei es zu einer Verlängerung des beschwerdefreien Intervalls von 30 % im Vergleich zu nicht behandelten Patienten kommt. Der Krankheitsverlauf der MS insgesamt wird durch Immunmodulatoren hinsichtlich des Eintritts von hochgradiger Behinderung und Tod nicht beeinflusst. Der Effekt von Immunmodulatoren ist also bei der MS bei pauschaler Betrachtung deutlich begrenzt (Anlage 11, Seite 275 und Seite 278).
Tysabri (Natalizumab) ist nach der Roten Liste 2016 für folgende Anwendungen zugelassen: schubförmige Multiple Sklerose. Tysabri ist für die Krankheit modifizierende Monotherapie von hoch aktiver schubförmig remittierend verlaufender Multipler Sklerose bei folgenden Patientengruppen indiziert: Patienten mit hoher Krankheitsaktivität trotz Behandlung mit einem Interferron-Beta oder Glatiramer oder bei Patienten mit einer rasch fortschreitenden schubförmig remittierenden Multiplen Sklerose. Die Behandlung mit Tysabri war also ein Off-label-Use, über den die Klägerin zuvor nicht informiert wurde. Die Voraussetzungen für die Behandlung mit diesem Medikament sind bei den gegebenen Krankheitsdaten nicht zu erkennen (Anlage 18).
20.
Zitat
Allerdings traten im Verlauf unspezifische Symptome auf, die sich nicht auf ein einzelnes Organsystem zurückführen lassen. Zudem fehlen entsprechende fassbare Befunde bei der klinischen Untersuchung. Die Symptome sind daher mit hoher Wahrscheinlichkeit psychiatrischer Ursache im Sinne einer somatoformen Störung.
Stellungnahme
Die Lyme-Borreliose befällt viele Organe und Organsysteme und wird entsprechend als Multiorgan- und Multisystemerkrankung bezeichnet. Dass die Symptome nicht auf ein einzelnes Organ zurückführbar sind, spricht also für eine Lyme-Borreliose und nicht dagegen. Unter Ziffer 11. wurden die wichtigsten Symptome und Beschwerden der bei der Klägerin vorliegenden Lyme-Borreliose dargestellt. All diese Symptome, unter anderem auch Gelenkentzündungen, Paraparese (Lähmung der Beine), epileptische Anfälle (fokale Anfälle) wurden objektiviert. Die übrigen Symptome charakterisieren das typische Krankheitsbild einer Lyme-Borreliose im Spätstadium.
Es ist unverständlich, dass der Vorgutachter PD Dr. Rupprecht die vielfältige Symptomatik und insbesondere die objektivierbaren körperlichen Befunde auf eine psychiatrische Krankheit zurückführt und zwar auf eine somatoforme Störung.
Eine somatoforme Störung gilt nicht als psychiatrische Krankheit (DSM-IV). Es handelt sich bei der somatoformen Störung um Symptome, die durch eine bekannte körperliche oder seelische Erkrankung nicht erklärbar sind, also um medizinisch nicht erklärbare Symptome (medically unexplained symptoms). Die diagnostischen Kriterien einer somatoformen Störung sind jedoch nicht erfüllt. Gefordert wird das Auftreten vor dem 30. Lebensjahr (die Klägerin war bei Krankheitsbeginn 47 Jahre alt), vier Schmerzsymptome in vier unterschiedlichen Körperbereichen, davon mindestens zwei gastrointestinale Symptome, ein sexuelles Symptom und ein pseudoneurologisches Symptom. Zudem müssen „zusätzliche Voraussetzungen“ vorliegen. Dies betrifft insbesondere, dass die Symptome nicht durch eine bekannte Krankheit erklärt werden können. Im vorliegenden Fall ist jedoch eine Lyme-Borreliose mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Bezüglich weiterer Einzelheiten sei auf die Anlage 12 verwiesen.
21.
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Bei der Klägerin findet sich vor dem Zeckenstich eine depressive Episode. Da es sich bei einer depressiven Erkrankung um eine „rezidivierende depressive Störung“ handelt, ist eine solche Erkrankung wahrscheinlich, d.h. die nach dem Zeckenstich aufgetretenen Symptome sind vermutlich im Rahmen rezidivierender depressiver Störungen einzuordnen.
Stellungnahme
Bei der Klägerin trat in 07/12 nach Zeckenstich ein Erythema migrans auf, das für das Frühstadium einer Lyme-Borreliose krankheitsbeweisend ist. Bereits im gleichen Jahr (2012) entwickelten sich zahlreiche Beschwerden vereinbar mit einer Lyme-Borreliose im Spätstadium. In 2013 entwickelten sich auch neurologische Symptome (Lyme-Neuroborreliose). Unter antibiotischer Langzeitbehandlung von 07/14 bis 09/15 kam es zu einer deutlichen Besserung des Krankheitszustandes. Es ist unverständlich, wie ein solcher Krankheitsverlauf rezidivierenden depressiven Phasen zugeordnet werden kann, insbesondere unter dem Aspekt, dass zwischen solchen depressiven Episoden Beschwerdefreiheit bestehen müsste.
Der Vorgutachter PD Dr. Rupprecht stellt folgende diagnostische Aneinanderreihung dar:
Diese Aneinanderreihung mehrerer Diagnosen ist mit dem Krankheitsverlauf und der Krankheitsgestalt nicht vereinbar. Der Vorgutachter PD Dr. Rupprecht sollte daher gebeten werden, den Beginn und die Dauer der von ihm retrospektiv diagnostizierten Krankheitszustände zu benennen, wenn möglich mit einer begründenden Erläuterung.
21.
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Entgegen der Auffassung von Dr. Berghoff treten epileptische Anfälle bei der Multiplen Sklerose auf, nicht jedoch bei der Lyme-Neuroborreliose (Hansen und Lebech, 1992).
Stellungnahme
In der Studie von Hansen und Lebech, 1992 wurden 187 Patienten retrospektiv untersucht. Dabei ergab sich in 86% der Fälle eine Neuroradikulitis (Nervenwurzelentzündung), in 5% eine Meningitis und bei den restlichen Patienten eine Entzündung des zentralen Nervensystems. In der Studie werden in der Tat keine epileptischen Anfälle beschrieben, wie dies auch für die übrige Literatur gilt. Nach eigener Erfahrung (Dr. Berghoff) sind jedoch cerebrale Anfälle, selbst ein Status epilepticus bei der chronischen Lyme-Borreliose keinesfalls eine Seltenheit, insbesondere auch hinsichtlich einer so genannten myoklonischen Epilepsie. (Diesbezüglich sei auf die Publikationen von Peeta et al, 2006 und Vokelic et al, 2000 verwiesen (Anlage 13)).
Dagegen gelten epileptische Anfälle (convulsions) für die Multiple Sklerose als atypisch (Anlage 14). Oben wurde bereits darauf hingewiesen, dass bei einer Studie an 5.715 Patienten nur bei 0,02% fokale Anfälle auftraten.
22.
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Die angeblich erfolgreiche antibiotische Therapie stellt vermutlich den Spontanverlauf der Erkrankung dar. Das heißt, dass nicht beurteilt werden kann, ob nicht auch ohne antibiotische Therapie die Symptome langsam zurückgegangen wären.
Stellungnahme
An dieser Stelle bejaht der Vorgutachter PD Dr. Rupprecht implizit das Vorliegen einer Lyme-Borreliose, bezieht die Besserung jedoch nicht auf die antibiotische Behandlung, sondern auf einen vermutlichen „Spontanverlauf“. Den vom Vorgutachter PD Dr. Rupprecht bereits oben aufgeführten Diagnosen wäre also die Lyme-Neuroborreliose im Spätstadium hinzuzufügen.
23.
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Es gibt keinen wissenschaftlichen Nachweis, der einen Erfolg einer antibiotischen Langzeittherapie über Monate belegt. In entsprechenden Studien war der Krankheitsverlauf in der Verum- und Placebo-Gruppe gleich (Klempner et al, 2001).
Stellungnahme
In der Studie von Klempner et al, 2001 wurde für einen Monat mit Ceftriaxon behandelt und nachfolgend 60 Tage mit Doxycyclin. Doxycyclin ist jedoch für die Behandlung der Lyme-Borreliose im Spätstadium nicht geeignet, da die Substanz nicht in das zentrale Nervensystem eindringt, in dem sich ein erheblicher Teil der Borrelien aufhält. Entsprechend stellen die Autoren lediglich fest, dass die durchgeführte Behandlung mit Ceftriaxon und nachfolgend Doxycyclin für die Behandlung der Lyme-Borreliose im Spätstadium nicht geeignet ist. Bezüglich weiterer Einzelheiten sei auf die Anlage 15 verwiesen.
25.
Zitat
Im vorliegenden Fall fehlen Hinweise auf eine chronische oder persistierende Borreliose, da Borrelien-spezifische IgG Antikörper nicht nachgewiesen wurden.
Stellungnahme
Die falsche Ansicht und Behauptung, dass für die Diagnose einer Lyme-Borreliose im Spätstadium IgG Antikörper obligatorisch seien, geht auf zwei Arbeiten zurück und zwar die von Hansen und Asbrink, 1989 und die von Wilske et al, 1993. Beide Publikationen sind methodologische Studien, befassen sich also mit der diagnostischen Wertigkeit verschiedener Labormethoden. Beide Studien sind nicht darauf angelegt, die Häufigkeit von IgG Antikörpern bei der Lyme-Borreliose im Spätstadium zu eruieren (Anlage 16). Vielmehr wurde in zahlreichen Studien festgestellt, dass in etwa 50 % der Fälle einer Lyme-Borreliose im Spätstadium Antikörper vollständig fehlen. Also selbst Seronegativität schließt eine Lyme-Borreliose im Spätstadium nicht aus (Anlage 17).
Die Diagnose einer Lyme-Borreliose im Spätstadium stützt sich, wie ausgeführt, auf folgende Säulen: Anamnese, körperlicher Untersuchungsbefund, Einbeziehung von Vorbefunden, medizinisch-technische Befunde, Differentialdiagnose. Dabei ist zu beachten, dass ein pathologisch serologischer Befund nur die stattgehabte Infektion beweist, jedoch zu Existenz und Ausmaß der Krankheit (Lyme-Borreliose) keine Aussage zulässt. Der bei der Klägerin vorliegende serologische Befund (Nachweis von IgM AK) beweist die stattgehabte Infektion, ist jedoch für sich allein kein Grund für eine antibiotische Behandlung. Andererseits ist das Fehlen von IgG AK kein Grund, eine antibiotische Behandlung zu unterlassen. Die Behandlungsnotwendigkeit richtet sich ausschließlich nach der klinischen Situation unter Beachtung der oben angeführten diagnostischen Säulen.
Zusammenfassung und Beurteilung
Folgende Befunde sprechen für eine Lyme-Borreliose:
Befunde, die gegen eine Multiple Sklerose sprechen
Aktuelle Hauptbeschwerden der Lyme-Borreliose im Spätstadium
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PD Dr. med. W. Berghoff
Literaturverzeichnis
Anlagen
Inhaltsverzeichnis der Anlagen:
Seite 1 Anlage 1
Seite 9 Anlage 2
Seite 12 Anlage 3
Seite 12 Anlage 4
Seite 13 Anlage 5
Seite 13 Anlage 6
Seite 16 Anlage 7
Seite 18 Anlage 8
Seite 21 Anlage 9
Seite 21 Anlage 10
Seite 22 Anlage 11
Seite 22 Anlage 18
Seite 23 Anlage 12
Seite 25 Anlage 13
Seite 25 Anlage 14
Seite 26 Anlage 15
Seite 27 Anlage 16
Seite 27 Anlage 17