Medizinische Begutachtung


Stellungnahme zu Behandlungsfehler


Priv. Doz. Dr. med. W. Berghoff
Facharzt für Innere Medizin

Telemannstraße 1
53359 Rheinbach, den 04.08.2011
Telefon 02226 - 2041
Telefax 02226 - 2044


Priv. Doz. Dr. med. Berghoff – Telemannstraße 1 – 53359 Rheinbach

 

Herrn Rechtsanwalt

Hansjörg Haack

Lotter Straße 108

49078 Osnabrück


2904/08/Hc/De
XXX / Uni-Klinik MS

 


Bezugnehmend auf Ihr Schreiben vom 26.07.11 wird im Folgenden eine

 

gutachterliche Stellungnahme

abgegeben.


In der Sache wurde von mir mit Datum 18.05.09 ein medizinisches Gutachten erstellt.


Die vorliegende Stellungnahme bezieht sich auf folgende Dokumente:

  • Gutachterlicher Bescheid Ärztekammer Westfalen-Lippe 27.06.11
  • Gutachten Prof. Tröbs, Kinderchirurg, 31.03.11

Zu verschiedenen Textpassagen dieser Dokumente wird im Folgenden Stellung genommen. Die Inhalte dieser Textpassagen werden zitiert oder sinngemäß wiedergegeben (Zitat); unmittelbar danach erfolgt die kritische Kommentierung (Stellungnahme).



Epikrise der zugsandten Dokumente


In der Sache wurde von mir am 18.05.09 ein Gutachten erstellt. Im Folgenden wird zu dem Bescheid der Ärztekammer sowie zu den zu Grunde liegenden Gutachten Stellung genommen.


Problematik:


Am 26.02.08 Korrektur Spondylodese TH6-L1. Am ersten postoperativen Tag, d.h. am 27.02.08 Auftreten von abdominellen Beschwerden mit Erbrechen. Am 28.02.08 Hinweis auf akutes Abdomen, am 29.02.08 Laparotomie wegen perforierter Magenwand mit Peritonitis. Postoperativ schwere Komplikationen mit resultierender erheblicher Behinderung.


Die Eltern vertreten die Ansicht, dass spätestens am 28.02.08 operativ hätte interveniert werden müssen.


Bezüglich sonstiger Fakten siehe Gutachten Dr. Berghoff 18.05.09.

 


Gutachterlicher Bescheid Ärztekammer Westfalen-Lippe, 27.06.11


Zitat


(Sinngemäß): Kinderchirurgen wurden am 29.02.08 konsiliarisch tätig. Zu diesem Zeitpunkt Diagnose: Magenhinterwandperforation mit Bauchfellentzündung. Am gleichen Tag Laparotomie.


Vorwurf der Eltern: Beschwerden traten bereits am Abend 27.02.08 auf. Die Laparotomie zwei Tage später, d.h. am 29.02.08 war also verspätet.


Antragsgegner Prof. Gosheger: Am 27.02.08 noch kein Hinweis auf akutes Abdomen. Retrospektiv ist Magenperforation am 28.02.08 anzunehmen, jedoch aus klinischer Sicht ohne eindeutigen Anhalt.


Stellungnahme

Es ist unverständlich, dass Prof. Gosheger retrospektiv eine Magenperforation am 28.02.08 annimmt, gleichzeitig jedoch darauf hinweist, dass am 28.02.08 kein Hinweis auf eine Magenperforation bestand. Es wäre daher zu prüfen, auf welcher Basis Prof. Gosheger retrospektiv die Perforation für den 28.02.08 annimmt und wie dies ohne („aus klinischer Sicht ohne eindeutigen Anhalt“) möglich ist.


Zitat


Prof. Gosheger behauptet, dass sich das akute Abdomen erst am 29.02.08 morgens gezeigt habe. Die Magenperforation mit Peritonitis sei als Komplikation eingetreten (gemeint ist also Komplikation infolge der Operation, Anm. Dr. Berghoff).


Am selben Tage, d.h. am 29.02.08 wurden die kinderchirurgischen Konsiliarii hinzugezogen und am gleichen Tage laparotomiert.


Der Ärztekammer liegen zwei Gutachten vor und zwar ein orthopädisches und ein kinderchirurgisches. Die Gutachten kommen übereinstimmend zu der Ansicht, dass die postoperative Nachbetreuung vom 26.02.-29.02.08 sachgerecht war, ein ärztliches Fehlverhalten sei nicht festzustellen.


Die Eltern der Patientin vertreten die Ansicht, dass die Orthopäden und Kinderchirurgen im Zeitraum vom 26.-29.02.08 keine ordnungsgemäße Betreuung und Untersuchung durchgeführt haben. Dadurch sei die Diagnose der Magenperforation und die entsprechende Bauchoperation durch die betreuenden Ärzte schuldhaft verzögert worden.


Der orthopädische Gutachter stellt fest, dass bereits am 28.02.08 Symptome vorlagen, die für ein akutes Abdomen sprechen, sie seien jedoch unspezifisch gewesen.


Stellungnahme

Es ist unverständlich, dass der orthopädische Gutachter einerseits ausführt, dass am 28.02.08 Symptome vorlagen, die für ein akutes Abdomen sprachen, andererseits diese Symptome jedoch als unspezifisch auffasst.


Zitat


Die Gutachter stellen gemeinsam fest, dass die (erst) am 29.02.08 erfolgte operative Behandlung nicht behandlungsfehlerhaft sei.


Eine Erkennung des Magendurchbruchs wäre möglicherweise bereits am 28.02.08 möglich gewesen, jedoch habe sich „durch die Verkettung komplizierter Einflussfaktoren bedingt“ die Verzögerung ergeben.


Stellungnahme


Es ist also zu prüfen, was mit „Verkettung komplizierter Einflussfaktoren“ gemeint ist.

 


Gutachten Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie, St. Anna-Hospital, Prof. Godolias und Oberarzt Meyer, 26.09.10


Zitat


Am 27.02.08, am ersten postoperativen Tag Übelkeit, Erbrechen, CRP 9,2 mg/dl.
Schmerztherapie: Arcoxia, Magenschutz: Pantozol 20 mg.


28.02.08 weiterhin Übelkeit, CRP 30 mg/dl, spärliche Darmgeräusche.


29.02.08 Frühvisite 07:00 Uhr: Abwehrspannung. Kinderchirurgisches Konsil.
Abdomen Röntgenaufnahme 12:34 Uhr: Massiv freie abdominelle Luft.


29.02.08 notfallmäßig Laparoskopie. Feststellung einer Magenperforation. Danach Exploration, Übernähung Magenperforation, nachfolgend Komplikationen, keine völlige Wiederherstellung der Gesundheit der Patientin.

Hinsichtlich der Frage, ob am 28.02.08 bereits eine Abklärung der abdominellen Beschwerdesymptomatik hätte erfolgen müssen, gestaltet sich die Antwort schwierig.


Eine Magenperforation kann zu stärksten Schmerzen führen, jedoch auch nahezu symptomlos ablaufen. Meistens tritt jedoch ein akutes Abdomen auf.


Leitsymptome des akuten Abdomens: Heftige Bauchschmerzen, Übelkeit, Abwehrspannung, Veränderung der Darmtätigkeit, Störung der Darmentleerung, Fieber und Schock.


Am 28.02.08 lag ein großer Anteil dieser Symptome vor: Übelkeit, Schmerzen, Störung der Darmperistaltik, spärliche Darmgeräusche, Fieber, deutliche Erhöhung des CRP-Wertes.


All diese Symptome sind im zeitlichen Zusammenhang mit der vorangegangenen Operation (Korrektur Spondylodese) unspezifisch.


Stellungnahme


Es ist unverständlich, dass die Gutachter zunächst darstellen, dass ein großer Anteil von Symptomen vorlag, die üblicherweise bei einem akuten Abdomen auftreten, einschließlich des rasch und stark angestiegenen CRP-Wertes, andererseits jedoch feststellen, dass all diese (für ein akutes Abdomen) typischen Beschwerden wegen der vorangegangenen Operation unspezifisch seien.


Zitat


Die Erhöhung des CRP-Wertes ist unspezifisch. Dies gilt auch für den festgestellten Wert von 30 mg/dl am zweiten postoperativen Tag. Übelkeit, Schmerzen und veränderte Darmperistaltik können im Rahmen der Umstellung der Stoffwechsellage auftreten.


Stellungnahme

Ein solcher Zusammenhang ist in der Literatur nicht beschrieben. Die Gutachter sollten ergänzend Stellung nehmen, was sie mit „Umstellung der Stoffwechsellage“ meinen und wodurch eine solche „Umstellung der Stoffwechsellage“ zu Übelkeit, Schmerzen und Veränderung der Darmperistaltik führt.


Zitat


Am 28.02.08 um 16:00 Uhr wird von einer Abwehrspannung noch nicht gesprochen, sie wird erst am 29.02.08 beschrieben und (sinngemäß) aus gutachterlicher Sicht als ausschlaggebend für die Diagnose eines akuten Abdomens angesehen.


Stellungnahme


Auch wenn eine Abwehrspannung am 28.02.08 nicht dokumentiert ist bedeutet dies nicht, dass sie nicht zu diesem Zeitpunkt vorlag. Entscheidend ist jedoch die Fülle der oben genannten Symptome, die von den Gutachtern selbst als typisch für ein akutes Abdomen benannt werden. Auch sollten die Gutachter durch Literaturnachweise belegen, dass ein CRP-Anstieg auf 30 mg/dl am zweiten
postoperativen Tag bei einer Korrektur Spondylodese nicht ungewöhnlich ist.


Zitat


Die ärztlichen Einträge zeigen, dass auf die Beschwerdesymptomatik reagiert und regelmäßig überprüft wurde.


Stellungnahme


Die Gutachter führen nicht aus, in welcher Form eine solche Reaktion auf die Beschwerdesymptomatik bestand und was die angebliche ÜberprÜfung ergeben hat. Dieser Zusammenhang ist anhand des Gutachtens Dr. Berghoff und ggfs. der Akten
zu Überprüfen.


Zitat

Vielleicht hätte aufgrund der Befundkonstellation schon am 28.02.08 die Diagnostik der abdominellen Beschwerden durchgeführt werden können, dass dies jedoch erst am 29.02.08 erfolgte sehen wir (Gutachter) nicht als Behandlungsfehler an.


Stellungnahme


Die Gutachter sollten ergänzend Stellung nehmen, warum sie einerseits meinen, dass die am 28.02.08 bestehende Befundkonstellation „vielleicht“ Grund für eine diagnostische Abklärung der abdominellen Beschwerden gewesen sei, dass
dennoch die Verzögerung der diagnostischen Abklärung bei einem gravierenden und höchst bedrohlichen Krankheitszustand (akutes Abdomen) auf den nächsten Tag, d.h. auf den 29.02.08 verschoben werden konnte.

 


Gutachten Prof. Tröbs, Kinderchirurg, 31.03.11


Zitat


28.02.08, 13:24 Uhr: Röntgen-Abdomen: Keine freie Luft. Retrospektiv auffällige Konturierung des rechten Zwerchfells. Keine eindeutige Aussage bezüglich freier Luft erlaubt.


Stellungnahme


Der Gutachter sollte ergänzend Stellung nehmen, wie er die „auffällige Konturierung des rechten Zwerchfells“ deutet und ob es sich hierbei doch möglicherweise um eine beginnende Ansammlung von freier Luft im Bauchraum handelt, die sich bei einer Magenhinterwandperforation zunächst auf schmale Luftsichel am Leberunterrand bzw. der Bursa urmentalis beschränkt, also eine Region die der Gutachter anspricht („auffällige Konturierung des rechten Zwerchfells“).


Zitat


Am 29.02.08, 12:30 Uhr: Massive intraabdominelle Luftansammlung.

Diagnosen im Verlauf:
Septischer Schock mit Kreislaufinsuffizienz und Katecholamin-Pflichtigkeit, disseminierte intravasale Gerinnung.


Stellungnahme


Ein derart schwerwiegender Krankheitszustand entwickelt sich frühestens 24 Stunden nach einer Magenperforation. Diesbezüglich sollte der Gutachter ergänzend Stellung nehmen.


Zitat


Für eine Fehlanlage des Periduralkatheters kann der Gutachter keine objektiven Anzeichen finden, da Übelkeit und Erbrechen häufig nach größeren Operationen in der postoperativen Phase auftreten.


Stellungnahme


Diese Passage ist unverständlich. Der Gutachter stellt zunächst fest, dass eine Fehlanlage des Periduralkatheters auszuschließen sei, begründet dies dann damit, dass Übelkeit und Erbrechen häufig nach größeren Operationen auftreten. Diese Argumentation ist unverständlich und bedarf der Erläuterung.


Zitat


Am 29.02.08, 07:00 Uhr Morgenvisite: Darmgeräusche spärlich. Kinderchirurgisches Konsil wird eine Stunde später, d.h. um 08:00 Uhr angemeldet.


Stellungnahme


Es ist unverständlich, dass bei dem zu diesem Zeitpunkt bereits erkennbaren akuten Abdomen nicht unverzüglich ein kinderchirurgisches Konsil erfolgte. Tatsächlich wurde das kinderchirurgische Konsil etwa fünf Stunden nach Feststellung von
Symptomen eines akuten Abdomens (gegen 07:00 Uhr) durchgeführt.

Zitat


29.02.08, 12:00 Uhr: Kinderchirurgisches Konsil, laut Formular vom 12.03.08 erfolgte die Konsultation um 11:48 Uhr (offenbar nachträgliche Datierung).


Stellungnahme


Diese Unkorrektheiten zeigen, mit welcher Leichtfertigkeit die betreuenden Ärzte mit der Problematik des akuten Abdomens umgingen. Entscheidend ist jedoch nicht, ob das Konsil um 12:00 Uhr oder um 11:48 Uhr erfolgte oder ob es sich um eine
nachträgliche Datierung handelt, vielmehr ist der entscheidende Kritikpunkt, dass am 29.02.08 bei der Morgenvisite um 07:00 Uhr die Symptomatik eines akuten Abdomens bestand, das kinderchirurgische Konsil jedoch erst gegen 12:00 Uhr, d.h. fünf Stunden später erfolgte und die operative Behandlung erst am späteren Abend (s.u.).


Zitat


Kinderchirurgischer Konsiliarbericht: Zunehmende Verschlechterung des Allgemeinzustandes, Abdomen vorgewölbt, peritonitisch (also typische Zeichen einer Bauchfellentzündung, Anm. Dr. Berghoff), keine Peristaltik auskultierbar, Laborwerte mit ansteigenden Entzündungsparametern. Röntgen Abdomen: Freie intraabdominelle Luft. Therapievorschlag: Heute Laparotomie. Gezeichnet Dr. Koch.


Stellungnahme


Zum Zeitpunkt des kinderchirurgischen Konsils bestand also bereits ein hochgradiger Krankheitszustand mit vorgewölbtem Abdomen, Darmgeräusche waren nicht mehr feststellbar. Auch in diesem Zusammenhang ist es unverständlich und ärztlich unvertretbar, dass in einer solchen Notfallsituation die Konsiliaruntersuchung erst fünf Stunden nach erstmaliger Feststellung des akuten Abdomens erfolgt. Es wäre also gutachterlich zu klären, warum nicht unmittelbar nach Feststellung des akuten Abdomens, nämlich am 29.02.08 um 07:00 Uhr bei der Frühvisite sofort ein kinderchirurgisches Konsil erfolgte und unmittelbar danach operativ interveniert wurde. Tatsächlich lagen zwischen der Feststellung des akuten Abdomens und der operativen Behandlung mehr als 12 Stunden.


Zitat


Die Operation der Magenperforation erfolgte in der Zeit von ca. 20:00 Uhr bis 22:00 Uhr.


Stellungnahme


Es ist unverständlich, dass der Gutachter die Zeiten nicht präziser benennt. Aus dem Operations- und Narkoseprotokoll müsste sich eindeutig ergeben, wann die Operation begonnen wurde. Unabhängig davon ist jedoch – wie gesagt – der Abstand zwischen der Feststellung eines akuten Abdomens und der operativen Intervention von über 12 Stunden nicht akzeptabel und zeigt einmal mehr, dass die zuständigen Ärzte bei der vorliegenden Dringlichkeit nicht mit der gebotenen Eile vorgingen.


Zitat


Bei der Operation wurden ein 2-Euro-Stück große Perforation der Magenhinterwand und schmutzig-trübe Flüssigkeit im Bauchraum festgestellt.


Stellungnahme


Auch dieser Befund spricht dafür, dass die Perforation mindestens 24 Stunden bestand. Auch hierzu sollte der Gutachter ergänzend Stellung nehmen.


Zitat


(Sinngemäß): Die Erstoperation (Korrektur Spondylodese) stellte eine erhebliche Stressbelastung dar, die postoperativ zu einem stressbedingten Magengeschwür führen kann. Behandelt wurde mit Arcoxia.


Stellungnahme

Wiederum ist unverständlich, warum das nur gering schmerzlindernde Medikament Arcoxia eingesetzt wurde. Arcoxia hat den Nachteil, dass es die Bildung eines Magengeschwürs befürchtet (???). Es war daher in der gegebenen Situation kontraindiziert, da postoperativ mit einer erhöhten Gefahr eines stressbedingten Ulcus zu rechnen war.


Zitat


Am 28.02.08 Fieber 38,2° Celsius. Das CRP stieg von präoperativ 5,6 auf 30,1 an.


Stellungnahme


Dieser rapide Anstieg des CRP am zweiten postoperativen Tag lässt sich nur auf eine akute bakterielle Infektion beziehen und keinesfalls auf die Erstoperation (Korrektur Spondylodese), wie dies im Gutachten von Prof. Godolias zum Ausdruck kommt. Überdies ist zu beachten, dass der drastische Anstieg des CRP mit Entwicklung von Fieber (38,2° Celsius) einherging.


Zitat


Der Entzündungsmarker C-reaktives Protein stieg kontinuierlich von >0,5 auf 9,20, 12,43 und 45,2 g/dl an.


Stellungnahme


Bei der Dimension liegt ein Irrtum vor, es muss korrekt heißen: mg/dl. Die in dieser Textpassage angegebenen Zahlen stimmen nicht mit dem auf Seite 10 des Gutachtens angegebenen Wert des CRP überein. Der Zusammenhang müsste anhand des Gutachtens Dr. Berghoff bzw. der Akten überprüft werden.


Zitat

Am 27. und 28.02.08 (zweiter und dritter postoperativer Tag) kam es zu einer erheblichen Einlagerung von Infusionsflüssigkeit in die Weichgewebe. Es bestand eine sogenannte positive Flüssigkeitsbilanz. Dies stellt ein ominöses Zeichen dar.


Stellungnahme


Neben der abdominellen Symptomatik mit zahlreichen typischen Krankheitssymptomen (s.o.) bestand also Fieber, ein plötzlicher extremer Anstieg des Infektion-indizierenden CRP und eine positive Flüssigkeitsbilanz (ominöses Zeichen). Diagnostische Konsequenzen wurden jedoch am 28.02.08 nicht gezogen. Eine positive Flüssigkeitsbilanz ist im vorliegenden Fall und in der gegebenen Situation stets Ausdruck eines beginnenden Schockgeschehens, das typsicherweise mit einem vermehrten Austritt von Blutflüssigkeit in das Gewebe (im Bereich der peripheren Blutbahn) gekennzeichnet ist.


Zitat


Am 26. und 27.02.08 lag die Herzfrequenz meist unter 100 / min. Am 28.02.08 bestand ständig eine Tachykardie von über 100 / min.


Stellungnahme


Auch diese Tachykardie ist Ausdruck der eingetretenen bakteriellen Infektion infolge Bauchfellentzündung bei perforierter Magenhinterwand und des hieraus resultierenden beginnenden Schockgeschehens (septischer Schock). – Zu einer weitergehenden und präziseren Stellungnahme wäre Einsicht in die medizinischen Dokumente erforderlich. Bei der Erstellung meines medizinischen Gutachtens vom 18.05.09 lag keine ärztliche Dokumentation des Krankheitsverlaufes vom 26.02.-29.02.08 vor.


Zitat


28.02.08, 07:00 Uhr Visite: Patientin klagt über Übelkeit. Heute Lasix.


Stellungnahme

Lasix ist ein entwässerndes Medikament. Wie oben ausgeführt lag am 28.02.08vbereits ein beginnendes Schockgeschehen vor mit vermehrtem Flüssigkeitsaustritt ins Gewebe, d.h. einer positiven Flüssigkeitsbilanz. Warum in dieser Situation versucht wurde durch Lasix Flüssigkeit aus dem Körper zu entfernen ist pathophysiologisch unverständlich. Vielmehr hätten die Ärzte aufgrund der positiven Flüssigkeitsbilanz sich die Frage nach der Ursache stellen müssen, dies umso mehr, als im Laufe des dritten postoperativen Tages (28.02.08) zahlreiche andere Symptome und Phänomene auftraten, die Hinweis auf die (beginnende) abdominelle Problematik waren.


Zitat


28.02.08, 12:45 Uhr Visite: Temperaturanstieg 38° + Tachykardie 120.


Stellungnahme


Spätestens zu diesem Zeitpunkt (Temperaturanstieg, anhaltende Tachykardie von 120 bei vorausgehender normaler Herzfrequenz und den sonstigen Krankheitsmanifestationen u.a. positive Flüssigkeitsbilanz) hätten die Ärzte unverzüglich die diagnostische Abklärung vornehmen müssen.


Zitat


28.02.08, 16:00 Uhr Oberarztvisite: Darmgeräusche spärlich.


Stellungnahme


Neben all den bereits dargestellten Symptomen eines akuten Abdomens und einer beginnenden Schocksymptomatik wurde zu diesem Zeitpunkt auch erstmalig das wichtige Symptom verminderter Darmgeräusche (spärliche Darmgeräusche)
festgestellt. Zu diesem Zeitpunkt bestanden schon seit fast einem Tag abdominelle Beschwerden. Dass selbst in dieser Situation, d.h. am 28.02.08 gegen 16:00 Uhr immer noch keine Konsequenzen zur diagnostischen Abklärung erfolgten, ist bei zu Grundelegung der üblichen ärztlichen Sorgfaltspflicht nicht nachvollziehbar.

Zitat


27.02.08: Trias Schmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Anstieg des Pulses gegen 21:00 Uhr.


Stellungnahme


Die Tachykardie trat also bereits am ersten postoperativen Tag, d.h. am 27.02.08 gegen 21:00 Uhr auf, war am nächsten Tag, am 28.02.08 gegen 12:45 Uhr mit 120 / min. weiter vorhanden. Am 28.02.08 bei der Visite um 12:45 Uhr war also bekannt, dass die Tachykardie bereits am Vortag gegen 21:00 Uhr vorgelegen hatte. Trotz dieser bereits über zwölf Stunden vorhandenen Tachykardie (Phänomen im Rahmen eines beginnenden Schockgeschehens, septischer Schock bei Peritonitis) und der parallel laufenden zahlreichen sonstigen Krankheitsmanifestationen, Symptomen und Beschwerden erfolgte keine Abklärung am 28.02.08.


Zitat


Am 28.02.08 Schmerzen besonders prekär, so dass Schmerztherapeutin hinzugezogen wurde.


Stellungnahme


Es müsste anhand der Unterlagen und des Gutachtens Dr. Berghoff geklärt werden, welche Ursache die Schmerztherapeutin für die bestehenden Schmerzen annahm und wie sie die sonstigen Krankheitsmanifestationen deutete. Auch müsste geklärt werden, in welcher Form die Schmerzen zunahmen und ob die betreuenden Ärzte dokumentierten, welche Ursachen für die Schmerzzunahme zu beachten waren.


Zitat


Im Nachhinein kann davon ausgegangen werden, dass die Lochbildung des Magens sich bereits am 27. und 28.02.08 ankündigte oder dass der Magendurchbruch sich möglicherweise bereits am 28.02.08 ereignete.

Stellungnahme


Der Gutachter spielt hier auf die ex ante-Betrachtung an. Der Gutachter stellt fest, dass im Nachhinein bereits am 27.02.08 Hinweise auf die Lochbildung des Magens bestanden (die Lochbildung kündigte sich an). Warum diese Erkenntnis nicht auch von den seinerzeit zuständigen Ärzten zu fordern ist, wird vom Gutachter nicht erläutert. Diese Einstellung des Gutachters ist nur dann nachzuvollziehen, wenn die am 27. und 28.02.08 bestehende Symptomatik nur dann als Ankündigung eines Magendurchbruches gewertet werden kann, wenn das Ereignis (Magendurchbruch) den Ärzten bekannt ist. Abgesehen von der Unlogik einer solchen
Betrachtungsweise ist die Betrachtungsweise des Gutachters nicht nachvollziehbar, ist es doch selbstverständlich Aufgabe der Ärzte bei einer gegebenen Krankheitssituation die Ursache festzustellen, d.h. eine Diagnose zu stellen. Ein solches Bemühen, jedenfalls ein angemessenes Bemühen der betreuenden Ärzte ist im Gesamtzusammenhang nicht feststellbar. – In gleicher Weise ist auch die Feststellung des Gutachters, dass „möglicherweise“ bereits am 28.02.08 sich eine Lochbildung des Magens ereignete zu kritisieren, da er dies gewissermaßen bei einer ex ante-Betrachtung negiert. Der Gutachter spricht davon, dass im Nachhinein (!) davon ausgegangen werden kann, dass die Lochbildung sich möglicherweise bereits am 28.02.08 ereignete.


Zitat


Bei XXX (Patientin, Anm. Dr. Berghoff) waren die Symptome überdeckt durch

  • Schmerzen durch vorausgehende Operation (Korrektur Spondylodese)
  • hochpotente Schmerzmittel
  • Antibiotikum Rocephin, was die Symptome mindern kann

Stellungnahme


Die ersten beiden Punkte beziehen sich ausschließlich auf den Schmerz. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass am 28.02.08 die Schmerzen so ausgeprägt waren, dass eine Schmerztherapeutin hinzugezogen werden musste.

Entscheidend ist jedoch, dass nicht nur das Symptom Schmerz für die Diagnose entscheidend war, sondern zahlreiche weitere Faktoren:

  • Erhöhtes Risiko für Magengeschwür infolge Stressbelastung der Erstoperation
  • Abdominelle Beschwerden (Übelkeit, Erbrechen, verminderte Peristaltik, d.h. geringe Darmgeräusche, vermehrte Flüssigkeitsanlagerung, dramatischer Anstieg des CRP innerhalb eines Tages)
  • Fieber
  • Anhaltende Tachykardie 120 / min.

Alle diese Symptome waren Ausdruck eines akuten Abdomens mit beginnender Schocksymptomatik (septischer Schock bei Peritonitis).


Der Hinweis, dass das Antibiotikum Rocephin die Symptome minderte und dadurch die Symptome „überdeckt wurden“ ist unverständlich. All die oben genannten Symptome waren trotz der vom Gutachter angesprochenen Symptomminderung in
ausgeprägter Form vorhanden.


Zitat


Das Schmerzbild war kaum von Schmerzen nach einer Wirbelsäulenoperation zu unterscheiden.


Stellungnahme


Anhand des Gutachtens Dr. Berghoff und der Dokumente wäre zu überprüfen, welche Art von Schmerz vorlag. Im Übrigen war der Schmerz nicht das einzige Symptom, sondern vielmehr bestanden zahlreiche Hinweise für ein akutes Abdomen und ein beginnendes Schockgeschehen, s.o. Wegen der Wichtigkeit sei wiederholt, dass für die Diagnosestellung keineswegs allein die Schmerzen maßgebend waren.


Doch selbst wenn den Schmerzen diagnostisch wichtige Bedeutung zugemessen wird, gilt unverändert der Grundsatz der Differentialdiagnose, d.h. die betreuenden Ärzte hätten sich über die möglichen Ursachen der Schmerzen im Klaren sein müssen, d.h. die alleinige Beziehung der Schmerzen auf die Wirbelsäulenoperation unter Nichtbeachtung anderer Ursachen (Perforation Magenhinterwand) wäre fehlerhaft.


Zitat


All diese Faktoren führten zu einer verzögerten Diagnosestellung.


Stellungnahme


Unter all diesen Faktoren versteht der Gutachter folgende Punkte:

  • Schmerzen infolge Erstoperation
  • Linderung der Schmerzen durch Schmerzmittel
  • Linderung der Symptome (?)
  • Schmerzen konnten durch Erstoperation (Wirbelsäulenoperation) bedingt sein

Dass es sich bei „all diesen Faktoren“ nicht um die umfassende Erfassung der damals bestehenden Krankheitssituation handelt, wurde bereits mehrfach oben dargestellt. Es lagen zahlreiche Symptome eines Magendurchbruchs und eines beginnenden septischen Schocks vor (vgl. Seite 16).


Zitat


Die Magenperforation könnte sich auf dem Boden eines vorbestehenden Magengeschwürs ereignet haben. Für dieses gibt es keinen sicheren Anhalt, allerdings aufgrund von Angststörung / Einschlafstörungen zumindest eine Prädisposition.


Stellungnahme


In der Literatur ist ein Kausalzusammenhang zwischen Angststörung und Einschlafstörung einerseits und Magengeschwür andererseits nicht beschrieben. Die Annahme einer derartigen Kausalität ist nicht nur unzutreffend, sondern an den Haaren herbeigezogen. Die implizite Behauptung des Gutachters, dass (konstitutionell, Anm. Dr. Berghoff) vorliegende Prädispositions-Faktoren für ein Magengeschwür zu diskutieren seien, lässt an der Neutralität des Gutachters zweifeln.


Zitat


Plausibel ist eine postoperative Magenperforation (sinngemäß) durch den operativen Stress der Erstoperation.


Stellungnahme


Diese Feststellung ist richtig und lässt die eigenartige Diskussion des Gutachters hinsichtlich Zusammenhang mit psychischen Faktoren und Schlafstörungen in den Hintergrund treten. Diese abschließende Feststellung des Gutachters ist jedoch für den Sachverhalt von herausragender Bedeutung: Der Stress durch die Erstoperation war mit hoher Wahrscheinlichkeit Ursache des Magenulcus. Dieser entscheidende Zusammenhang wurde jedoch von den betreuenden Ärzten nicht erkannt oder missachtet.


Zitat


Zusammenfassung:
Die ärztliche Behandlung lässt einen folgerichtigen Ablauf der diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen erkenne.


Stellungnahme


Das Gegenteil trifft zu. Die betreuenden Ärzte hätten bei den vielfachen Zeichen eines akuten Abdomens und eines beginnenden Schockgeschehens rechtzeitig, d.h. spätestens am 28.02.08 eine diagnostische Abklärung herbeiführen müssen.


Überdies ist es unverantwortlich, dass zwischen Feststellung des akuten Abdomens am frühen Morgen des 29.02.08 (07:00 Uhr) und dem operativen Eingriff mehr als 12 Stunden vergingen.


Zitat

Die möglicherweise verzögerte Erkennung des Magendurchbruchs war durch Verkettung komplizierter Einflussfaktoren bedingt. (Sinngemäß): Hier überlappten sich der Anstieg des CRP mit einer sehr larvierten Symptomatik einer Magenhinterwandperforation.


Stellungnahme


Es bleibt völlig unklar, was der Gutachter mit „Verkettung komplizierter Einflussfaktoren“ meint. Er sollte ergänzend Stellung nehmen und diese „komplizierten Einflussfaktoren“ im Einzelnen benennen. Richtig ist, dass sich der CRP-Anstieg mit der Symptomatik der Magenhinterwandperforation „überlappte“. Dies ist jedoch keine Erschwernis der Diagnose, sondern hat vielmehr synergistische
Bedeutung. Bei Vorliegen von Zeichen eines akuten Abdomens und einer beginnenden Schocksymptomatik ist ein drastischer und plötzlicher Anstieg des CRP wichtiger Hinweis auf eine stattfindende bakterielle Infektion. Der gleichzeitige (überlappende) Anstieg von CRP und die Entwicklung der vielfältigen Symptomatik erleichtern die Diagnose und stellen keinesfalls ein Handicap dar. Schließlich sei festgestellt, dass die Symptomatik keinesfalls „larviert“ war; vielmehr war die Krankheitssymptomatik typisch und ausgeprägt und zeigte vom 27.-29.02.08 einen dramatischen Verschlechterungs-Verlauf. Wegen der besonderen Wichtigkeit sei
noch einmal auf die verzögerte operative Intervention hingewiesen, die erst mehr als 12 Stunden nach der Erstdiagnose des akuten Abdomens erfolgte.


Zitat


Der Verlauf bei XXX (Patientin, Anm. Dr. Berghoff) beruhte somit nicht auf einer fehlerhaften ärztlichen Handlungsweise.


Stellungnahme


Bei dieser eigenartigen Feststellung bezieht sich der Gutachter auf die „Verkettung komplizierter Einflussfaktoren“. – Die unvertretbare Verzögerung der operativen Intervention lässt der Gutachter unberücksichtigt. Im Übrigen verweise ich auf mein medizinisches Gutachten vom 18.05.09, insbesondere den Absatz „Zusammenfassung und Beurteilung“, ab Seite 5 ff.

 

 


Gutachten genießen den Schutz des Urheberrechts (§§ 1, 2, 11, 15 des UrhG vom 09.09.1965, BGB 1.1, S. 1273). Sie dürfen daher nur für den Zweck, für den sie erstellt worden sind, verwendet werden. Dies ist auch bei Weitergabe einer Kopie an den Untersuchten, seinen Hausarzt oder Rechtsanwalt zu beachten. Dieses Schriftstück darf ohne Einwilligung des Gutachters nicht zur Verfügung sonstiger Ansprüche verwertet werden.

 

 


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PD Dr. med. W. Berghoff