Lehrbuch Lyme-Borreliose


23.6

Avidität Bb-AK im Krankheitsverlauf


Die Avidität, d.h. die Affinität von Bb-AK an Bb-Antigene, zeigt im Krankheitsverlauf unter dem Einfluss von Bb zunächst einen deutlichen Anstieg, jedoch geht die Avidität etwa 6-8 Wochen nach Infektionsbeginn deutlich zurück, während die AK-Konzentration hier einen weiteren Anstieg aufweist. Durch den nach wenigen Wochen auftretenden Rückgang der Avidität wird die Immunwirkung der Antikörper abgeschwächt mit der Folge, dass unter dem Einfluss von Bb die Immunantwort an Wirksamkeit einbüßt. Diese Erkenntnisse gehen auf die Publikation von Elsner et al., 2015 zurück, die Einzelheiten sind in der folgenden, ins Deutsche übersetzten Epikrise dargestellt.

 
CD4+ T cells promote antibody production but not sustained affinity maturation during Borrelia burgdorferi infection.

Elsner RA, Hastey CJ, Baumgarth N. Infect Immun. 2015; 83(1):48-56.

CD4 T-Zellen sind entscheidend für die B-Zellen vermittelte Immunität, d.h. für die Bildung von Antikörpern, langlebigen Plasmazellen und Gedächtnis-B-Zellen. Vorrausgehende Studien zeigten, dass Borrelia burgdorferi offensichtlich über Monate nach Infektion zu einer mangelhaften T-abhängigen B-Zell-Antwort führt, die Bereitstellung langlebigen Plasmazellen und Gedächtnis-B-Zellen ist definierbar. Zudem werden ständig IgM-AK während der chronischen Lyme-Borreliose produziert ohne Umwandlung in IgG-AK. Die vorliegende Studie untersuchte daher die Induktion und Funktionalität von CD4 Zellen bei Bb-Infektion. CD4-Zellen wurden unter der Bb-Infektion exprimiert und die Bildung von Zellen induziert. Diese CD4 T-Zellen trugen zur Kontrolle der Bakterienlast von Bb bei und induzierten IgG-AK gegen Bb. Im Rahmen der Immunantwort wurden AK gegen ein prototypisches Protein von Bb gebildet („arthritis-related proteine“, Arp). Die Bildung dieser Arp-AK war im weiteren Verlauf rückläufig und zwar zeitgleich mit der bereits zuvor beobachteten Involution germinaler Zentren. Die Unterbrechung der Arp-AK-Bildung beruhte nicht auf Hemmung oder Erschöpfung der CD4-Zellen oder auf einer stärkeren Einwirkung der regulatorischen T-Zellen. Vielmehr zeigten T-Zellen von Bb-infizierten Mäusen eine rasche Differenzierung von B-Zellen in AK-sezernierenden Plasmazellen, den B-Zellen mangelte es jedoch an einer kontinuierlichen Proliferation. Diese Vorgänge spiegeln sich in vivo wider und zwar in der Induktion einer raschen, jedoch kurzlebigen und T-Zell-abhängigen Antikörper-Bildung; es kommt also nicht zu einer lang anhaltenden Antikörper-Produktion. Die Daten zeigen überdies, dass eine Bb-Infektion der Produktion von protektiven, hoch affinen und langlebigen AK entgegen wirkt und vielmehr eine rasche, ausgeprägte, jedoch kurzlebige Bildung von AK begünstigt mit begrenzter Effizienz.

Die Bildung von IgG-AK gegen das prototypische Arp ist vollständig von CD4 T-Zellen abhängig. Die Studie fokussierte sich daher auf die IgG-Antwort gegenüber Arp. Die Avidität (Bindungskraft) von Arp-AK stieg während der ersten 6-8 Wochen der Bb-Infektion im Mäuse-Experiment an, fiel dann jedoch in den folgenden 10 Wochen ab, obwohl die Konzentration der Arp-AK zunahm (Abb. 1).
Die Abnahme der Avidität beginnt etwa 6 Wochen nach Infektionsbeginn. Die Rückbildung der germinalen Zentren bereits 3-4 Wochen nach Infektionsbeginn.
CD4 T-Zellen begünstigen die Entwicklung der AK-Affinität (Avidität).


In der Publikation von Barthold und Bockenstedt LK (35) wurde nachgewiesen, dass die protektive Kapazität der humoralen Antwort bei Bb-Infektion zunächst ansteigt, dann jedoch in der Folge abfiel, obwohl die Gesamtmenge an Bb-IgG-AK weiter anstieg. Die vorliegende Studie zeigt, dass zu Beginn der Bb-Infektion die humorale Immun-Protektion in Folge einer höheren Avidität ansteigt, wird im weiteren Verlauf jedoch nicht aufrechterhalten. Die Aktivität der germinalen Zentren ist rückläufig trotz fortdauernder Präsenz von Antigenen.

Aus Studien an Menschen und Tieren (36,37,38) ist bekannt, dass im Verlauf einer späten Bb-Infektion die Immunantwort zur Bildung langlebiger AK und Gedächtnis-B-Zellen führt. Allerdings hat zu diesem Zeitpunkt bereits eine Dissemination der Bakterien stattgefunden, so dass die Immunantwort den Erreger nicht mehr voll erreicht.

Abb. 23.22

Das Versagen der germinalen Zentren erklärt die häufige Neigung zu Reinfektion durch Bb (39,40).


Der nach antibiotischer Behandlung beobachtete Rückgang Bb-IgG-AK wird mitunter als Zeichen einer effektiven Behandlung betrachtet. In diesem Zusammenhang könnte der serologische Befund eine frühere Infektion und deren negative Auswirkung auf die B-Zell-Antwort unterschätzen. Ob die in der Publikation nachgewiesene CD4 T-Zell-Antworten und des dabei entstehenden immunologischen Gedächtnisses Ziel besserer diagnostischer Methoden sein könnten, bleibt abzuwarten.

 

Überdies ist der Einfluss von CD4-T-Zellen, insbesondere auf Makrophagen, wahrscheinlich von entscheidender Bedeutung, die Infektions-Belastung durch Bb zu begrenzen. Zudem ist zu beachten, dass die immunologischen Aktivitäten von CD4-T-Zellen sich in verschiedenen Organen unterscheiden.

Virale (51,52), bakterielle (53,54) und parasitäre Pathogene (55,56) können sich dem Immunsystem erwehren oder entkommen; dabei sind CD4 T-Zellen und T-abhängige AK-Bildung die Ziele. Die Unterdrückung von CD4 T-Zellen durch B. burgdorferi ist also aus den oben genannten Zusammenhängen bekannt.

Die vorliegenden Studie legt nahe, dass die Funktion der Zellen durch Einfluss von Bb dafür verantwortlich ist, dass langlebige AK mit geringer Avidität überwiegen. Dadurch wird der Erreger (Bb) begünstigt.

Schließlich stellt sich die Frage, ob CD4 T-Zellen therapeutisch manipuliert werden können, um die Resistenz gegenüber Bb-Infektion zu verbessern.

In der Abb. 23.22 ist die Bedeutung der abnehmenden Avidität von Bb-AK im Verlauf einer Lyme-Borreliose dargestellt.